Espresso statt Krümeltee

■ Im September wollen Gutsituierte nur von Sozialhilfe leben: ein Experiment der Waller Stadtteilshow „Der gute Abend“

Mit 540 Mark über den Monat kommen – was für Bremer SozialhilfeempfängerInnen tägliche Übung ist, wollen Menschen, die's nicht nötig haben, vier Wochen lang ausprobieren. „Soziales Fas-ten“, im Untertitel „ein ungewöhnlicher Selbstversuch“, nennt sich das aktuelle Projekt der Waller Stadtteilshow „Der gute Abend“: einen Monat von Sozialhilfe leben, sich selbst beobachten und be-

obachten lassen. „Die eigenen Bedürfnisse überprüfen“, sagt Frauke Wilhelm von der Kulturwerkstatt Westend, die die Show veranstaltet.

Geplanter Fastenmonat ist der September. ProbandInnen gibt es schon. Zwei von ihnen sitzen vor einer edel geformten Flasche „Vilsa Exklusiv Medium“, Blick ins Grüne, rote Chrysanthemen in einer dunkelgrünen Vase, der bröckelnde Charme mediterraner Dörfer an der Wand, und räsonieren über Aldi, Champagner und Krümeltee. Thomas Frey und Edith Laudowicz machen mit. Mit rund 1.000 Mark müssen sie über den September kommen. Wie viel weniger das ist als sonst, wollen sie nicht verraten, nur so viel: „Eine ganze Menge.“

„Jeder hat eine Meinung über Sozialhilfeempfänger, die wird überall ausgetauscht“, erklärt Thomas Frey seine Motive, „wir versuchen, das konkret zu machen, sich der Situation mal zu stellen.“ Im Moment, beobachtet der Kulturreferent der Arbeiterkammer, sei's schick, bei Aldi einzukaufen. Er findet sein Experiment ausdrücklich „nicht schick“. Er will einiges herausfinden. Wie's sein wird, wenn man den Freunden keinen guten Wein mehr anbieten kann, sondern „eben Dosenbier“ – ob sie noch kommen und ob man selbst sich noch traut sie einzuladen. Ob die Sozialhilfe einen befähigt, „diese Art von Intelligenz zu entwi-ckeln“: Schnäppchen ausfindig zu machen. Edith Laudowicz fragt sich: „Ist es möglich, sich gesund zu ernähren, wenn man auf billige Quellen angewiesen ist?“ Dreimal Schwimmen die Woche, ist das noch drin?

Acht Sorten Tee, in feinen Porzellandosen nach Plantagen geordnet – tabu für einen Monat. Statt der reichhaltigen Käseplatte allmorgendlich Gummikäse für 1,99. Beide lachen und erklären, da müssten sie sich noch etwas ausdenken. Vielleicht Espresso statt Tee, mal sehen. Edith Laudowicz, EDV-Dozentin, spricht von dem „Verständnis für andere“, das nicht verloren gehen soll, davon, „sich reinzufühlen in die Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe.“

Kommt sich der gemeine Sozialhilfeempfänger nicht vergackeiert vor angesichts eines solchen Experiments von Gutsituierten, die mal einen Monat sparen und dann zum gewohnten Standard zurückkehren? „Nein“, sagt Initiatorin Frauke Wilhelm und berichtet von Gesprächen mit SozialhilfeempfängerInnen: „Gerade die, die von Sozialhilfe leben, finden's gut, denn sie würden da öffentlich nicht mitmachen wollen.“ Neben Paaren wie Frey/Laudowicz sind Singles am Start. Wilhelm: „Wer uns noch fehlt, sind Familien oder allein Erziehende.“

Im Fastenmonat September wird ein „Gute-Abend“-Team allwöchentlich bei den Hobby-SozialhilfeempfängerInnen aufkreuzen und ihr Spar-Dasein dokumentieren, mit Blick in den Kühlschrank, auf den gedeckten Tisch, in den Badezimmer-Schrank. Am 7. Oktober um 20 Uhr ist Show-down: Die Versuchsarmen berichten im Lichthaus über ihren Fastenmonat. Für SozialhilfeempfängerInnen ist der Eintritt ermäßigt. sgi

Allein Erziehende und Familien zum Mitmachen gesucht, Kontakt: Frauke Wilhelm, Tel.: 616 82 99