„Ich bin ein Hund, eine Hure, eine Fotze“

Explizite Blicke: In ihrem schwulen Halbporno „Head On“ folgt die Regisseurin Ana Kokkinos einem griechischen Dorian Gray durch Melbourne

Ari ist schön. Vielleicht der schönste Mann, der je durch einen Film spaziert ist. Und Ari ist hart, weil er es sich leisten kann. Seinen Sex holt er sich in dunklen Gassen, Worte braucht er dazu nicht, und wenn es vorbei ist, hat er für den anderen höchstens noch einen verächtlichen Blick übrig. Er liebt ausschließlich sich selbst, sein Schwulsein, und hasst alles, was ihn davon abhält.

Das ist leider eine ganze Menge. Denn Ari ist eben ein schwuler Grieche aus dem Subproletariat von Melbourne, Australien. Eine narzisstische Black Box, die die Regiedebütantin Ana Kokkinos mit einer hübschen Dosis Oppression gefüllt hat. Unterdrückt wird Ari von seiner traditionellen Familie, die zu verlassen oder auch nur über sein Selbst aufzuklären er nicht imstande ist. Nur wenn er sich kopfüber in die Nacht stürzt, aus seinem deprimierenden Hetero-Umfeld ausbricht, ist er bei sich. Dann ist er der Dorian Gray der unteren Klassen.

Wir sehen das Problem: Ari „ist“ so einiges. Die umwerfende Stärke seines Charakters liegt darin, dass er sich jeder Entwicklung und jedem bürgerlichen Geständniszwang verweigert. Die Schwäche von „Head On“ ist, dass ein Film von solchen Typen nicht leben kann. Ein Film muss zeigen, verstehen – und bekennen, wie er sich dazu verhält. Die Kamera wird zum starren Auge der Gesellschaft, der Ari zu entkommen sucht.

Der daraus resultierende Blick ist ein zwangsläufig pornografischer. Mit allen darin implizierten Lächerlichkeiten. Wenn Ari beim Blickkontakt mit dem fetten Thai-Koch lüstern die Zunge rollt, bereitet diese unfreiwillige Komik nur ungenügend auf die Brutalität des kommenden Aktes vor. Wenn er sich unter Aufbietung aller voyeuristischen Reize einen runterholt, wollen wir dabei sein, aber aus den falschen Gründen. Und nach ein paar in Zeitlupe aufgerissenen Gürtelschnallen ist auch dem Letzten klar, dass Ari ein ganz schlimmer Finger ist. Wollte er das nicht eigentlich für sich behalten? Als symbolisch aufgeladenes Sozialstück nach bewährtem Muster funktioniert „Head On“ dann wieder prima. In der Fremde ist Aris Vater, der einst gegen die Obristendiktatur demonstrierte, selbst zum Tyrann geworden. Illusionen macht er sich längst nicht mehr, aber seinen Sohn zu Buzuki und Tsititeli zwingen, das kann er. Diese in jeder Hinsicht miesen Verhältnisse bedrücken nicht nur Ari. Auch sein Freund Johnny leidet unter einem Vater, der ihn hasst, weil er in Frauenkleidern rumläuft.

Mit seinem Exhibitionismus ist er der schematische Gegenentwurf zu Ari. Verstehen können sie sich nicht, politische Diskussionen laufen ins Leere, aber gemeinsam können sie tun, was Minderheiten zusammenschweißt: andere Minderheiten hassen. Zum Beispiel Araber. Der eloquente Johnny kann dafür sogar einen seltsam plausiblen Grund nennen: „Warum hassen wir die Kanaken? Weil sie zu allem das Maul halten.“ Weil er sein Maul nicht hält, wird er auf der Polizeistation, die solchen schwulen Prototypen wohl nie erspart bleiben wird, zusammengeschlagen. Ari steht daneben. Und schweigt. Der Leugner lässt seinen Messias für sich leiden.

Als ein weiterer Liebender an Aris erotischer Kompromisslosigkeit zerbricht, ist sich der junge Mann seiner selbst bewusst geworden: „Ich bin ein Hund, eine Hure, eine Fotze. Aber ich werde nichts ändern.“ Durch solche Drastik wird „Head On“, die Verfilmung von Christos Tsiolkas’ Roman „Unter Strom“, tatsächlich zu einem starken schwulen Statement abseits aller Konventionen. Und die hervorragenden Darsteller tun das ihre, um aus diesem sozialkritischen Halbporno sogar einen äußerst glaubwürdigen Indie-Film zu machen. Aber die Ironie, die man braucht, um eine derart krude Mischung ertragen zu können, muss man schon selbst mitbringen. PHILIPP BÜHLER

„Head On“. Regie: Ana Kokkinos. Mit Alex Dimitriades u. a. Australien 1998, 105 Min. Xenon-Kino, Kolonnenstraße 5, täglich 20.15 u. 22.15 Uhr