„Wir hatten das Gefühl, da wäre noch Platz für linke Gedanken“
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Marion Seelig (47), Journalistin und Schriftstellerin, ist in Ostberlin geboren. 1989/1990 war sie Sprecherin der Vereinigten Linken. Im Dezember 1990 kandidierte sie auf der offenen Liste der PDS für das Berliner Abgeordnetenhaus und ist seitdem innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion. Seit Frühjahr 1999 ist sie Parteimitglied.

„Der Husemannstraßenkreis war eine Fortsetzung unserer alten Hauskreise, wie wir sie in der DDR-Opposition immer hatten. Das war vertrautes Gebiet, da trafen sich Leute, die Oppositionsarbeit gemacht haben, wir kannten uns ja alle persönlich. Dazu kam das Westspektrum, zu denen wir auch vor der Wende schon Kontakte hatten. Zunächst ging es darum, sich kennen zu lernen und Gemeinsamkeiten auszuloten und zu versuchen, linke Positionen neu zu bestimmen in dem neuen Kräfteverhältnis zwischen PDS, Bürgerbewegungen und Grünen. Meist sind wir den Tagesereignissen hinterhergelaufen, es ging ja alles so rasend schnell. Aber wir haben auch versucht, über Wirtschaftskonzepte nachzudenken und eine Oppositionskonferenz vorzubereiten. In den Kreisen gab es große kulturelle Unterschiede. Die Westlinken hatten Erfahrungen, in Veranstaltungen zu sprechen, sie waren rhetorisch geschult und hatten einen anderen Zugang zu politischer Literatur. Bei uns war das Menschliche wichtiger, alles war familiär geprägt. Inhaltlich haben wir alle versucht, wieder einen Fuß auf den Boden zu kriegen. Wir hatten zwar das Gefühl, in dieser Umbruchzeit wäre noch Platz für linke Gedanken und einen alternativen Weg der DDR. Aber es gab auch Resignation über die rasante Entwicklung. Als eine Zusammenarbeit mit den Grünen nicht mehr möglich war, haben wir versucht, einen Neuanfang zu finden. Für mich war es emotional sehr schwierig, mich auf die PDS einzulassen, politisch und kulturell natürlich auch. Viele meiner Freunde konnten das überhaupt nicht verstehen. Es gab aber damals ein großes Maß an Offenheit der PDS uns gegenüber. Heute würde mir wohl niemand mehr auf dem Silbertablett den zweiten Platz auf der Landesliste anbieten.“