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: Dringend gesucht: Neue Pfade im Dopingsumpf

Einsamkeit eines Präsidenten

Eine Sache hat Helmut Digel in den vergangenen Monaten begriffen: Hilfe von außen kann er in Sachen Dopingbekämpfung nicht erwarten. „Niemand will Verantwortung übernehmen“, klagt der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Lippenbekenntnisse gäbe es zuhauf, vollmundige Forderungen nach einer nationalen Dopingagentur, die den überforderten Funktionären die schwere Last der Gerechtigkeitsfindung abnimmt, durchaus auch Versprechungen. Doch wenn es konkret werde und vor allem die entsprechende Finanzierung zu klären sei, passiere plötzlich nichts mehr. Anders als in Italien, wo der Staat die Verfolgung von Dopingdelikten per Gesetz an sich zieht, lassen deutsche Politiker wie Innenminister Otto Schily ihren starken Worten selten Taten folgen. Digels vorläufiges Fazit ist jedenfalls eher pessimistisch: „Der Verband muss es alleine machen.“

Dazu bedarf es neuer Strukturen, die der DLV-Präsident am Rande der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig erläuterte. „Schnelle Entscheidungswege und notwendige Professionalität“ müssten her, dazu klare Verantwortlichkeiten. „Der Anti-Doping-Code muss aus der Satzung ausgegliedert werden“, verlangt Digel, es ginge nicht an, dass der DLV wie bisher gleichzeitig Ankläger und Richter sei und am Ende sogar gegen seine eigenen Entscheidungen vorgehen müsse.

Angesichts der „schleichenden Verrechtlichung“ des Sports und des „gutachterlichen Matadorenkampfes“, der in Fällen wie dem von Dieter Baumann ausgefochten wird, müssten sachkundige Rechtsexperten am Verfahren beteiligt werden, die natürlich entsprechend zu honorieren sind. Der DLV-Rechtsausschuss, so Digel, habe im Fall Baumann zwar beeindruckende Arbeit geleistet, im Grunde besitze solch ein ehrenamtliches Gremium aber in derartigen Fällen nicht die notwendige Kompetenz.

Was Digel und dem DLV-Vizepräsidenten Clemens Prokop vorschwebt, ist eine vom DLV eingesetzte „Disziplinarkammer“ mit Experten als Beisitzern, die nach einer positiven Dopingprobe relativ schnell entscheidet und gegebenenfalls eine Suspendierung verfügt. Legt der betroffene Athlet Einspruch ein, sollte der Fall außerhalb des Verbandes weiter verhandelt werden, nach Digels Dafürhalten am besten direkt vom Schiedsgericht des IOC, dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS).

Das ist derzeit noch nicht möglich, da der Leichtathletik-Weltverband IAAF den Dopingcode des IOC auf Betreiben des jüngst verstorbenen Ex-Präsidenten Primo Nebiolo, der IOC-Chef Samaranch ärgern wollte, nicht unterschrieben hat. Bei der IAAF entscheidet als letzte Instanz das Arbitration Panel, wenn die Anti-Doping-Kommission den nationalen Schiedsspruch beanstandet – so wie übermorgen möglicherweise im Fall Baumann. „Da ist jetzt nach dem Tod von Nebiolo eine neue politische Situation eingetreten“, hofft Digel auf eine Besserung der Dinge nach dem Ableben des Leichtathletik-Paten aus Italien.

Verhindert werden müsse in Zukunft, dass der DLV, obwohl er sich – wie im Fall Baumann – vollkommen korrekt verhalte, nicht nur sämtliche Kosten zu tragen habe, sondern auch „für Fehler anderer haftet und den Imageschaden hat“ (Digel). Angesprochen ist das dem IOC unterstehende Kölner Dopinglabor, das eigenmächtig Ermittler zu Baumann geschickt hatte, mit dem Zahnpastafund an die Öffentlichkeit ging und dem DLV den Vorwurf der Ungleichbehandlung von Athleten einbrachte. Jeweils zwei Briefe habe er in dieser Angelegenheit an die für Dopingbekämpfung zuständigen IOC-Leute Alexandre de Merode und Richard Pound geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten: „Die stehen da wie gelähmt.“

Die Strukturreformen sollen dem DLV beim nächsten Verbandstag im März in Wunsiedel vorgelegt werden und beinhalten auch eine Gewaltenteilung in der Spitze. Bislang besteht das Aufsichtsgremium Verbandsrat aus den Präsidenten der Landesverbände und dem DLV-Präsidium, beaufsichtigt sich also selber. Digel will eine Trennung in Exekutive (Präsidium) und Aufsichtsrat (Verbände). „Seit acht Jahren“ fordere er das, „aber vielleicht gibt es jetzt ja offenere Ohren.“ Denn eines sei inzwischen jedem klar: „Die letzten sieben Monate haben der Leichtathletik nicht gut getan.“ MATTI LIESKE