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„Ein Deutscher wird’s nit“

Vom Olympiasieg über 5.000 m wagt Dieter Baumann nach dem Gewinn seines elften deutschen Meistertitels nicht zu träumen, sein großes Ziel für Sydney ist die Teilnahme am Endlauf

aus BraunschweigMATTI LIESKE

Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen, aber nicht unbedingt in 3.000 Meter Höhe. „Sleep high, train low“ nennt sich eine Trainingsmethode, welche Dieter Baumann im letzten Jahr in St. Moritz ausgiebig anwandte. Die vom norwegischen Skilangläufer Björn Dählie eingeführte Variante dient dazu, wie der frisch gebackene deutsche 5000-m-Meister sachkundig ausführt, durch eine Übernachtung in großer Höhe die Produktion des leistungssteigernden Hormons EPO im Körper um zwei Drittel zu steigern, diesen Effekt dann beim Training in geringerer Höhe auszunutzen und den Prozess alle vier Tage zu wiederholen. Dies sei die einzige Antwort auf das von ihm vermutete EPO-Doping bei etlichen Konkurrenten. Von Chancengleichheit könne aber immer noch keine Rede sein, da bei künstlicher EPO-Zufuhr sogar die sechsfache Menge erreicht werde – und das täglich.

Auch in diesem Sommer will Baumann zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele im September in Sydney wieder nach St. Moritz, doch die Dählie-Kur soll in geringerem Maße zum Einsatz kommen. Der Grund: „Man schläft schlecht in dieser Höhe, und das ist sehr anstrengend.“ Die Kraft ist eines der Probleme, mit denen sich der 35-Jährige nach seiner langen Dopingsuspendierung, die er gern als „gestörten Winter“ oder „nicht optimale Vorbereitung“ apostrophiert, herumschlägt. „Ich weiß, mir fehlen Rennen“, sagt er, auf der anderen Seite ist klar: „Zu viele Rennen darf ich nicht machen, sonst fehlt mir die Substanz.“ Zwar habe er im Frühjahr in Flagstaff, Arizona, sehr gut trainiert, im Mai jedoch wenig gemacht. „Ich bin nicht in der Position, in der ich bei normaler Vorbereitung wäre“, lautet das kaum verwunderliche Fazit.

Das zeigte auch der merkwürdige 5.000-m-Lauf bei den Deutschen Meisterschaften am Samstag in Braunschweig. Eine Zeit um 13:20 Minuten wollte Baumann eigentlich laufen, doch die Konkurrenz spielte nicht mit. Als keiner die Initiative ergriff, forcierte Baumann selbst das Tempo und lief plötzlich weit vorneweg, was ihn sichtlich irritierte. „Ich habe lange gebraucht, mich auf die neue Rennsituation einzustellen“, räumte er später ein. Wenn man allein laufe, verliere man leicht die Konzentration, und „schwuppdiwupp sind vier, fünf Sekunden weg“. Am Ende gewann er in mäßigen 13:39,17 Minuten. „Ein besonderer Titel“ sei dieser elfte bei einer deutschen Meisterschaft durchaus, „weil es nicht selbstverständlich war, dass ich dabei bin“; der schönste sei jedoch nach wie vor der erste gewesen. „Ich habe ein solches Niveau“, resümierte Baumann die alles andere als optimale Vorstellung in Braunschweig, „dass ich auch bei einem gestörten Winter auf nationaler Ebene davon zehren kann.“

Eine erheblich größere Herausforderung erwartet den Tübinger am 11. August, wenn er beim Golden-League-Meeting im Zürcher Letzigrund auf die geballte Weltelite trifft. Dort waren ihm die Afrikaner schon im vergangenen Jahr hurtig davongelaufen, diesmal befürchtet er noch Schlimmeres: „Ich sehe nicht nur acht vor mir her toben, sondern 18.“ Das Problem wird sein, eine Gruppe zu finden, die das Rennen seinem Leistungsvermögen entsprechend angeht, um so eine respektable Zeit laufen zu können. 13:10 Minuten sind sein Ziel für Zürich, diese Form will er dann im Trainingslager in St. Moritz nach dem Start beim Sportfest in Leverkusen am 20. August stabilisieren. „Mit einem Niveau von 13:10 habe ich in Sydney eine Endlaufchance.“

Das olympische Finale über 5.000 m ist der große Saisontraum von Dieter Baumann, der sich dann im nächsten Jahr der ganz langen Strecke widmen will: „2001 wird mein Marathonjahr.“ Zunächst aber wartet Olympia, und da wird es ganz schwierig, das gesteckte Ziel zu erreichen. „Ich muss mich auf einen knallharten Vorlauf einstellen.“ Eine Wiederholung seines Olympiasieges von 1992 ist für Baumann auch wegen der eingangs behandelten Problematik außerhalb jeder Diskussion. „Ein Deutscher wird’s nit“, lautet seine Antwort auf die Frage nach dem Olympiasieger, für ihn wäre die Endlaufteilnahme „ein wahnsinniger Erfolg“.

Verhindern könnte diesen außer der bösen Konkurrenz die Anti-Doping-Kommission des Weltverbandes IAAF, die am Mittwoch entscheidet, ob sich das Arbitration Panel mit dem Freispruch des Deutschen befassen wird, was eine erneute Suspendierung nach sich zöge. „Die IAAF kann tagen, und sie wird tagen. Es wird vom Ergebnis nichts Überraschendes bringen. Ich glaube, dass ich mich ganz ungestört auf Sydney vorbereiten kann“, zeigt sich Dieter Baumann zuversichtlich, dass dem gestörten Winter nicht noch ein gestörter Sommer folgt.

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