Vom Teller- zum Geldwäscher

Italiens mächtiger Medienonkel Silvio Berlusconi wird von seiner zwielichtigen Vergangenheit eingeholt. Ein Gutachten enthüllt nun: Fininvest, das Herzstück seines TV-Imperiums, wurde mit enormen Finanzspritzen unbekannter Herkunft unterstützt

aus Rom MICHAEL BRAUN

Solche Szenen kennt man aus dem Film: Da präsentiert sich ein gut gekleideter Herr in der Bank, einen Koffer in der Hand. Diskret wird er in ein Hinterzimmer geführt, dort öffnet er den Koffer, prall gefüllt mit Bündeln großer Scheine. Am Ende liegen acht Milliarden Lire auf dem Tisch, nach heutiger Kaufkraft das bescheidene Sümmchen von 44 Millionen Mark. Der fantasielose Zuschauer denkt natürlich sofort an Geldwäsche im Auftrag des organisierten Verbrechens oder an illegalen Kapitaltransfer in irgendeine Steueroase.

Aber die Szene, die sich am 6. April 1977 in einer norditalienischen Bankfiliale abspielte, war bloß eine kräftige Kapitalerhöhung der Fininvest s.r.l., die sich binnen zehn Jahren unter Silvio Berlusconis Ägide aus dem Nichts in Italiens größtes privates TV-Imperium verwandeln sollte. Eigenartig war nicht nur die Abwicklung der Kapitalspritze, eigenartig ist auch, dass heute noch „die Herkunft der Summe unbekannt ist“.

Das jedenfalls konstatiert ein am Freitag durch das Wochenmagazin L’Espresso veröffentlichtes Gutachten, erstellt von einem Mitarbeiter der Banca d’Italia und in Auftrag gegeben von der Staatsanwaltschaft Palermo im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen den Berlusconi-Intimus Marcello Dell’Utri, gegen den demnächst der Prozess eröffnet wird. Die Anklage hat es in sich: Unterstützung einer mafiösen Vereinigung wird dem Mann vorgeworfen, der jahrelang Berlusconis rechte Hand war.

Strafrechtlich hat Berlusconi selbst weder von diesem Prozess noch von dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten etwas zu befürchten; die gegen ihn laufenden Ermittlungen wegen Geldwäsche wurden ohne Ergebnis eingestellt. Dennoch zeigen die heftigen Reaktionen, dass es Berlusconi weiterhin eher unangenehm ist, mit den Mysterien seiner frühen Jahre konfrontiert zu werden. Er selbst nannte L’Espresso ein „Killer-Journal“, während die Fininvest eine Klage gegen das Magazin ankündigte, interessanterweise, ohne auch nur einen der dort abgedruckten Fakten in Abrede zu stellen.

Dabei wirft die Lektüre des Gutachtens nur eine Frage auf, die viele Italiener schon seit langem bewegt: Wie schaffte es Berlusconi, vom Sohn eines Bankangestellten, der sich das Studium als Entertainer auf Kreuzfahrten verdienen musste, zum heute reichsten Mann Italiens zu werden? Eine klassische Tellerwäscher-Karriere, wenn da nicht in den Jahren von 1977 bis 1984 immer wieder enorme Summen auf die Konten des jungen Mannes geflossen wären.

Noch 1977 war Berlusconi ein unbekannter Mailänder Bauunternehmer; von jenem Jahr an aber begann er mit dem kleinen Sender Telemilano den Aufstieg im TV-Business. 1980 entsteht aus den bescheidenen Anfängen das nationale Netz Canale 5, 1982 wird der Sender Italia 1, 1984 Rete 4 dazugekauft – und Berlusconi sieht sich an der Spitze einer Fininvest, die das private Fernsehen Italiens fast vollkommen monopolisiert. Der Gutachter der Banca d’Italia sollte nun die Quellen der Kapitalzuflüsse von umgerechnet einer Milliarde Mark analysieren, die die rasante Expansion der Fininvest ermöglichten.

Offiziell gehörte die Fininvest 22 Holdings, offiziell wickelten diese Holdings ihre Geschäfte bei der Mailänder Banca Rasini ab, just jener kleinen Privatbank, in deren Diensten Silvios Papa Luigi Berlusconi als leitender Angestellter stand. Als sich jetzt die Ermittler bei der Banca Popolare di Lodi – sie hatte 1991 die Banca Rasini geschluckt – nach den Konten der Fininvest-Holdings erkundigten, erhielten sie die Auskunft, die Unterlagen seien unauffindbar. Schließlich wurden die Fahnder dennoch in den Archiven fündig; nun schob die Bank als Erklärung nach, bei einer Umstellung der EDV seien die Berlusconi-Holdings irrtümlich in der Sparte „Schönheitssalons und Friseure“ rubriziert worden.

Dort passen sie gut hin – in Berlusconis Reich fielen Schein und Sein immer auseinander. Zeichnungsberechtigt für eine seiner vielen Treuhändergesellschaften war mal eine 65-jährige Hausfrau, mal ein schlaganfallgeschädigter Rentner, der vom Steuerberater im Rollstuhl zu den Geschäftsterminen bugsiert wurde. Auch bei den Geldströmen wurden reichlich Nebelkerzen gezündet. Der jetzt eingeschaltete Gutachter konnte die Herkunft von 114 der 200 Milliarden Lire nicht ausfindig machen. Er stieß nicht nur auf die in bar getätigte Kapitalerhöhung vom April 1977 oder auf einen weiteren Einschuss vom Dezember des gleichen Jahres in Höhe von 16 Milliarden Lire, der anonym eingezahlt wurde. Ein Jahr darauf wanderten 18 Milliarden über die Konten der Fininvest, ohne dass das erste wie das letzte Glied in der Zahlungskette identifizierbar wären; ausgerechnet die Mikrofilme mit den damaligen Kontenbewegungen von 13 der 22 Holdings „sind verbrannt“, wie es lapidar im Bericht heißt. Im Dezember 1979 flossen an einem einzigen Tag 28 Milliarden von der Treuhänderin Palina – geleitet von dem Strohmann mit Schlaganfall – über sechs Konten, nur um am Abend wieder bei der Palina zu landen. Der mit deren Büchern befasste Steuerberater kann sich allerdings an die Transaktion nicht erinnern: Weder habe er den gebrechlichen Treuhänder zur Bank gerollt, noch habe je für die Palina auch nur ein einziger Buchungsbeleg existiert.

Wie dem auch sei – 1984 war die härteste Arbeit getan. Das TV-Imperium stand; in Rom regierte Bettino Craxi und hielt Berlusconi den Rücken gegen die Staatsanwälte frei, die stur auf Paragraphen pochten, die nationale Privatsender damals gar nicht vorsahen. Nur einmal noch wurde es für Berlusconi kritisch: in den Jahren 1992/93, als ihm sein politischer Schutzherr dank der Mailänder Korruptionsermittlungen abhanden kam. Berlusconi meisterte auch diese Hürde mit Bravour, übernahm Craxis Rolle gleich selbst, ist mittlerweile Oppositionsführer mit guten Aussichten auf den Wahlsieg im Frühjahr 2001.

Zwar hat am Donnerstag der Senat seine Beratung des Gesetzes über den „Interessenkonflikt“ wieder aufgenommen, doch es zeichnet sich eine butterweiche Lösung ab: Während Berlusconi regiert, wird ein Blind Trust ihm das unternehmerische Geschäft erledigen. Alles in Ordnung also – wenn da nicht die unangenehmen Fragen nach der Vergangenheit wären.

Antworten wird es nicht geben: Die Fininvest ließ bereits wissen, sie habe „nichts zu verbergen“, also auch nichts mitzuteilen. Dennoch kann Berlusconi wohl ruhig schlafen, denn Walter Veltroni teilte in einem Anfall politischen Fair Plays mit, seine Linksdemokraten hätten nicht vor, „das Gutachten im Wahlkampf zu nutzen“.