nebensachen aus beirut
: Die „Partei Gottes“ in Wort und Tat

Es ist so ein Tag. Hisbullah oder Strand? stellt sich die Frage am Morgen. Einerseits habe ich eine Verabredung zum Interview in Beiruts Schiitenviertel Bir Abed, andererseits ist es mein letzter Tag im Libanon. Das Pflichtgefühl siegt. Das Interview dauert zirka 45 Minuten. Danach kaufe ich noch eine Badehose. Nichts wie zum Strand.

Tazler nehmen gern jede Gelegenheit zu Nebenverdiensten wahr. Der Muezzin schreit vom Minarett herunter. Das könnte man gut an den Hörfunk verkaufen. Also die stereotauglichen Mikrofonohrstöpsel ausgepackt und los. Ich komme gerade mal 500 Meter weit.

Was ich hier mache, fragt mich ein junger Mann mit Maschinenpistole im Anschlag. Ich händige im sämtliche Papiere aus. Als er nach einer Kamera fragt, packe ich sogar die aus dem Rucksack – ein Fehler. „Was hast du hier fotografiert?“, fragen mich die mittlerweile aufgelaufenen fünf durch ihre Pistolen im Gürtel zu identifizierenden Mitglieder der Hisbullah. „Nichts“, antworte ich wahrheitsgemäß. Doch das befriedigt nicht. „Gib uns den Film“, verlangen sie. „In zwei Stunden ist er entwickelt. Dann sehen wir, ob du etwas zu verbergen hast.“

Bei der Vorstellung, mein Film mit Bildern von der libanesisch-israelischen Grenze vom Vortag könnte in irgendeiner Chemiesuppe der „Partei Gottes“ landen, bekomme ich Pickel. Außerdem geht es ums Prinzip. Hatte nicht mein Interviewpartner noch vor wenigen Minuten beteuert: „Wir maßen uns keine staatlichen Autorität an. Das Sagen hier hat ausschließlich die libanesische Regierung.“ Auf die Frage nach der Polizei bekomme ich jetzt nur die Antwort: „Die sind wir.“ Und auf die Erkundigung nach meinen Ausweisen deutet ein Zeigefinger auf eine Maschinenpistole.

Ich möchte mit meinem Interviewpartner von vorhin reden. Der ist im Pressebüro der Hisbullah für ausländische Journalisten verantwortlich. „Wir sind hier für die Sicherheit zuständig und dürfen uns nicht vom Platz bewegen“, lehnt einer der Männer mein Anliegen ab, einfach zu dem Büro zu gehen.

Ich lande in einem Auto mit verdunkelten Scheiben. Die Tür links von mir ist automatisch verriegelt, rechts sitzt ein Aufpasser. Durch enge Straßen geht es zu einem der zahlreichen Hochhäuser in dem Bezirk. Dann die Treppe hoch. „Tasche her und Schuhe aus“, „bittet“ mich mein Begleiter. Warum die Schuhe? „Weil im Raum nebenan Teppich liegt und der soll sauber bleiben.“ Okay.

Kaum bin ich in dem etwa drei mal drei Meter großen Zimmer mit Chomeini- und Chamenei-Fotos an der Wand sowie zwei Stühlen und einem Tisch samt Aschenbecher gelandet, dreht sich der Schüssel auf der anderen Seite der Tür um. Erinnerungen werden wach, an Kollegen, die in Beirut jahrelang als Geiseln festgehalten wurden. Aber das ist mehr als zehn Jahre her. Trotzdem fühle ich mich in meiner Zelle nicht gerade wohl, hämmere gegen die Tür. Erst als ich behaupte, zur Toilette zu müssen, wird der Schlüssel umgedreht. Als die Tür aufgeht, greife ich schnell zu dem Schlüssel und stecke ihn in die Hosentasche. Vier Augen begegnen sich, dann geht die Tür wieder zu. Wenigstens ist sie jetzt nicht mehr abgeschlossen.

Etwa 30 Minuten später kommt jener junge Mann, der mich hierhin gebracht hat. Er gibt mir meine Papiere, und ich gebe ihm den Schlüssel. Man habe mit dem Pressebüro gesprochen, wo man mich kenne, erklärt er. Trotzdem habe man Fotokopien aller meiner Papiere gemacht, „zur Sicherheit“. Dann darf ich meine Tasche mit der Kamera und meine Schuhe wieder an mich nehmen. „Entschuldigung für alles“, sagt mein Kerkermeister zum Abschied. „Und einen schönen Tag noch.“ Den werde ich haben – am Strand. THOMAS DREGER