Ende der Oligarchie

Russlands Präsident Putin liest der verrufenen Wirtschaftselite die Leviten. Aber meint er es ernst?

MOSKAU taz ■ „Die Oligarchen haben es satt, Oligarchen zu sei“, freute sich Boris Nemzow, der das Treffen zwischen Präsident Wladimir Putin und Russlands verrufener Wirtschaftselite im Kreml vergangene Woche initiiert hatte. Rund zwanzig Räuberbarone waren geladen. Wichtigster Tagesordnungspunkt: das zukünftige Verhältnis zwischen den Oligarchen und der Macht im Kreml.

Unter der Regentschaft Boris Jelzins waren derlei Aussprachen nicht vonnöten. Seit die einflussreichen Finanzmoguln Jelzins Wiederwahl ins Präsidentenamt 1996 lanciert und finanziert hatten, saßen sie bei wichtigen Entscheidungen mit am Tisch. Als Gegenleistung für ihre Unterstützung und Loyalität erhielten sie die Filetstücke aus der Privatisierung des Staatsbesitzes zu Schleuderpreisen. Damit will Putin aufräumen.

Der Unterstützung des Volkes kann sich der Kreml-Chef sicher sein. Hier liegt die Crux. Meint Putin es ernst, wenn er gegen die Wirtschaftsbosse zu Felde zieht? Oder ist es nur ein populistisches Spektakel? Schließlich muss der Präsident beweisen, dass er sich von Jelzin unterscheidet. Die Frage ist offen. Doch versetzten die ersten Warnschüsse aus dem Kreml einige Finanzmoguln sichtlich in Unruhe. So verlangte der Generalstaatsanwalt von Wladimir Potanin, dem Besitzer der weltweit größten Nickelmine, er solle 140 Millionen Dollar für das 1995 unter Wert erworbene Unternehmen Norilsk Nickel nachzahlen. Die Steuerbehörde inspizierte den größten Autoproduzenten Avtovaz und beschuldigte ihn anschließend, 200.000 Automobile am Fiskus vorbei verkauft zu haben.

Die Drohgebärden haben ihr Ziel nicht verfehlt. Schon im Vorfeld des Kreml-Treffens signalisierten einige der Oligarchen, sie seien es leid, am Rande der Legalität zu wirken: „Viele Oligarchen sind des Mangels an klaren Regeln überdrüssig und warten darauf, dass der Kreml Richtlinien formuliert“, verriet der in die Schusslinie geratene Wladimir Potanin. Im Jekaterinensaal des Kreml wollten die Räuberbarone Putin vor allem zwei Zusagen entlocken: dass die Privatisierungsentscheidungen nicht widerrufen und die Eigentümer nicht strafrechtlich belangt werden können. Ersteres sicherte der Präsident zu, das andere falle in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft. Was der Theorie nach stimmt, auf die russische Praxis indes nicht zutrifft. An einer Generalamnestie ist Putin nicht gelegen, damit würde er jedes Druckmittel verlieren, die Wirtschaftsbosse unter seine Kandarre zu bringen.

Zwar hatte Putin vorher angekündigt, alle Oligarchen „auf Äquidistanz zur Macht“ zu halten. Doch selbst wenn er es ehrlich meinen sollte, würden Tradition und Praxis dabei stören. In der Vergangenheit erwies es sich für Wirtschaftler immer noch als profitabler, in Politik und Bürokratie als in ein Unternehmen zu investieren.

Solange die korrupte Beamtenschaft keine höheren Löhne erhält, dürfte Putins Vorhaben zum Scheitern verurteilt sein. Überdies wird auch seine eigene Entourage daran interesiert sein, zu einigen Oligarchen ein intensiveres Verhältnis zu pflegen.KLAUS-HELGE DONATH