berliner szenen
: Die Harry-Potter-Parade

Kinderkreuzzug

Fanclubs wirken oft befremdlich. Häufig tragen sie besondere Kleidung, um ihr Zusammengehörigkeitsgefühl zu zementieren und sich von Nicht-Fans abzugrenzen. Am Sonntag traf sich der Harry-Potter-Fanclub an der Weltzeituhr zur „Harry-Parade“. Wer keinen spitzen Hut aufhatte oder wenigstens einen mit Alufolie umwickelten Zauberstab, war Außenseiterkind auf dem Alexanderplatz. Auch Mütter hatten sich Bettlaken umgehängt. „Besen für Erstklässler“ und „Harry for President“ lauteten die Forderungen der knapp 200 Demonstranten, die sich zum Geburtstag der Romanfigur versammelt hatten.

Auf der Bestsellerliste des Internet-Händlers amazon.de liegen die Harry-Potter-Geschichten auf den Plätzen 1, 2, 3, 4, 7, 10, 13, 14, 15 und 20 – weit vor „Öfter, länger, besser – Sextipps für den Mann“ (Platz 29) und dem „Jesus Video“ (Platz 41). Die deutsche Fangemeinde fiebert derzeit auf den 14. Oktober, wenn der vierte Band auf Deutsch erscheint.

Initiiert wurde die Harry-Parade von den Schwestern Saskia und Sarah Preissner aus Prenzlauer Berg. Die 14-jährige Saskia geht auf eine Mathe-Schule, Sarah ist 10 Jahre alt und Montessori-Schülerin. Hauptberuflich betreiben die beiden den Harry-Potter-Fanclub im Internet. Dort kann man sich Harry Potter als Bildschirmschoner runterladen.

Saskia Preissner programmiert die Harrry-Potter-Seiten selbst. Ihre Eltern hätten nichts dagegen, sagt sie: „Die sind echt tolerant. Und solange der Zeugnisdurchschnitt bei eins Komma irgendwas bleibt, dürfen wir selbst entscheiden.“ Auf Rollerskates und mit Megafon treibt Saskia die Harry-Parade von der Weltzeituhr ins Nikolaiviertel. Dazu schreit sie „Los! Hopp, schneller!“ Immerhin eine originelle Demo-Route. Ein bärtiger Mann drückt allen eine Broschüre in die Hand und sagt: „Jesus ist der Chef des Universums. Darum geht es hier doch auch.“ Saskia hört nicht zu. Dafür hält sie an der Nikolaikirche eine Rede. Die „Muggles“, wie die normalen Menschen in der Harry-Potter-Sprache heißen, werden auch angesprochen, verstehen aber wegen der Insider-Ausdrücke wenig. Ein Mädchen aus der Schweiz bekommt für irgendeine von ihr auf der Harry-Potter-Website vollbrachten Leistung einen Pokal überreicht. „Ohne Internet ist man ja nichts mehr heute“, sagt eine Mutter frustriert. Nach der Ansprache befiehlt Saskia allen, ins „NewWorld“ nach Wildau zu fahren; dort soll es eine Harry-Potter-Party geben mit Butterbier, Kürbissaft und smaragdgrünen Muffins. Das NewWorld ist die größte Diskothek Europas. Für die Eltern gäbe es dort Restaurants und 32 Bowlingbahnen, meint Saskia. Alle folgen ihr. Sie kommt sich ziemlich toll vor. Als Mitschülerin würde sie wahrscheinlich nerven.

Auf die Frage, was sie an Harry Potter fasziniert, sagt sie schlau: „Welche Idole sollen die Teenies sich sonst suchen, wenn Popgruppen und Sportler durch sind? Politiker?“

Politiker-Fanclubs wären sicher lustig. Wäre man besser in HTML, dann könnte man eine Gunda-Röstel-Seite programmieren und sonntags mit einem Ohrring und einem lila Umhang an der Weltzeituhr herumstehen.

KIRSTEN KÜPPERS