Die Angst vor der Natur

■ Auf dem Hof Die Höge ließen Künstlerinnen Bienen tanzen und tasteten mit Lichtern durch die furchterregende Umgebung

Am Eingang gab es ein Brillenputztuch, nanu? Nein, es war eine auf weichem Leder gedruckte Anweisung, welchen Weg sich die niederländische Objektkünstlerin Linda Molenar ausgedacht hatte, um ihrer Bienenphobie Herr zu werden. Sie ist eine der fünf Künstlerinnen, die dieses Jahr das interdisziplinäre und am Wochenende in den Ergebnissen vorgestellte Symposion auf dem Künstlerinnenhof Die Höge gestalten. Als erstes hatte sie, die Großstädterin, Angst vor den Bienen, die neben ihrer Schlafstätte lebten, auch Angst vor der Natur. So führt sie uns mit „Kwispeldans“ in einen Weg, der der „Acht“ eines Bienentanzes nachempfunden ist, zu fünf ausgewählten Stätten ihrer Produktionen: In einer Betonmischmaschine liegt eine Kette aus Bienen, Wespen und Hummeln, die in Glaskugeln eingegossen sind. Dann begegnen wir in Gewächshäusern genähten Bienen, die mit einem kleinen Propeller ihren Zauber ausüben. Aus Molenars Arbeit spricht eine große Ruhe und Zartheit der Auseinandersetzung mit dem, was ihr begegnet: So hat sie auf einem Flohmarkt in Bassum einen kleinen Bilderrahmen gefunden. Er rahmt jetzt eine Schere, die sie sorgfältig mit ihrem abgeschnittenen Haar umwickelt hat.

Auch die Videokünstlerin Sibille Roter verarbeitet in „Night-Shoots“ Angst, Angst in der Nacht, Angst von Frauen. In einem schwarz abgehangenen Raum installiert sie drei Leinwände, auf denen ein doppelt irrisierender Eindruck entsteht: Frauen tasten mit Nachtsuchlichtern durch die trotz heller Erleuchtung Angst machende Natur, werden aber durch das zeitlupenartige Gehen selbst zu einem Teil dieser Natur. Eine hochinteressante Arbeit, die Raum lässt für unendlich viele Assoziationen.

Thematisch strenger ist die Wienerin Andrea Morein, die sich obsessiv mit der jüdischen Vergangenheit auseinandersetzt. In diesem Projekt folgt sie den Spuren der 1917 geborenen Charlotte Salomon, die in Auschwitz umgekommen ist und ein Tagebuch hinterlassen hat, das Morein zufällig im Buchladen des jüdisch-historischen Museums in Amsterdam gefunden hat. Unter dem Titel „Re-Zitationen“ hat sie einige dieser Texte auf große, zerrissene Blätter geschrieben und aufgehängt, dazwischen gibt es gestrichelte Porträts mit zugeklebten Augen und Mündern, die ebenfalls von Charlotte Salomon sind. Sie sind nur deswegen erhalten, weil Salomon das Papier der Rückseite für ihre Texte brauchte. Hängende Neonleuchtröhren zwischen den Texten und Köpfen bewirken insgesamt einen kontemplativen Raum von bewegender Ausstrahlung.

Theatralisch Lebendiges gab es nur bei den beiden Performance-Künstlerinnen Brigitte Bérard und Mileva Josipovic, die immer – wie es in der Performane auch definiert ist – sich selbst zum Thema machen: Hier, im mit allerlei Flohmarktutensilien ausgestatteten Heuhaufen, umfunktioniert zum Brutloch unter heißen Strahlern.

In diesen Heuhaufen wurden viele der BesucherInnen gelockt. Sie fanden es schön heiß, und über ein Mikro konnten sie ihre Empfindungen nach außen bringen (oder auch nicht). Bérard und Josipovic hatten sich mit gestrickten Geschlechtsorganen behängt, was auch immer das heißen mag. Den Blick des Zuschauers in Vertrautes zu verändern, das schaffen sie auf selbstironische und witzige Weise und mehr soll's ja vielleicht auch nicht sein, „BJ's Pig Sty, oder wir dich auch“.

So aufgeräumt die ZuschauerInnen waren, so viel in der immer kommunikativen Atmosphäre der Höge an Gesprächen zwischendurch stattfand: Die geplante Diskussion mit den Künstlerinnen gab es nicht, „weil schon am Tag davor keiner sich traute, was zu fragen“, so die Projektleiterin Susanne Winnacker. Angeregt und aufgemöbelt fuhr man nach Hause, schon mit Vorfreude auf den nächsten Sommer auf der Höge.

Ute Schalz-Laurenze