„Unter Zugzwang“

Der Historiker Höpfner untersuchte das NS-Unrecht an der Universität Bonn – weil seine Zunft es zu lange ignorierte

 taz: Warum hat die Universität Bonn bei einem berühmten Kopf wie Thomas Mann den Entzug des Ehrendoktors zwar schon 1946 rückgängig gemacht, sich bei allen anderen aber 50 Jahre Zeit gelassen?

Hans-Paul Höpfner: Mit der Wiederzuerkennung der akademischen Grade wollte man der Welt zeigen, wir leisten einen Beitrag zur Rehabilitierung. Gleichzeitig wollte man das eigene Renommee verbessern. Im Ausland kannte man die Bonner Professoren in der Regel nicht. Man kannte aber natürlich den Fall des Nobelpreisträgers Thomas Mann.

Die Großen rehabilitiert man, die Kleinen vergisst man. Ist eine solche Art der Wiedergutmachung nicht problematisch?

Allen ordentlichen Professoren hat die Universität nach 1945 relativ schnell das Angebot gemacht, an die Universität zurückzukehren. Zum Teil wurden auch Lehrstühle freigehalten. Dagegen mussten Dozenten, die weniger bekannt waren, meist selbst anfragen, ob ihnen Wiedergutmachung zusteht. Insgesamt sind an der Bonner Universität zur Zeit des Nationalsozialismus 65 Professoren und Dozenten entlassen worden. Von den 52, die nach dem Krieg noch lebten, sind 16 nach Bonn zurückgekehrt – hauptsächlich ältere Professoren. Die Jüngeren hatten längst in anderen Ländern Fuß gefasst. Viele wollten oft auch gar nicht mehr zurückkehren.

Warum hat der Senat der Universität die „Säuberungen“ der Nazizeit vor zwei Jahren noch einmal offiziell für nichtig erklärt?

Es sind ja nicht nur Professoren entlassen worden. Dutzende von Studenten wurden relegiert, das heißt, sie flogen von der Universität, weil sie Sozialisten, Juden oder politisch missliebig waren. Ähnlich erging es vielen Assistenten oder Promovierten, denen die Doktortitel aberkannt worden waren. Diese Gruppen sind aber nach 1945 nie berücksichtigt worden. Deshalb hat man 1998 eine Erklärung für alle während der NS-Zeit an der Universität Bonn Verfolgten abgegeben. Man war auch in Zugzwang, nachdem andere Universitäten vorangegangen waren.

Hängt die neue Offenheit vielleicht auch damit zusammen, dass viele Mitwisser und Mitläufer von einst, die sich durch die Rehabilitation gestört fühlen könnten, heute nicht mehr an der Universität sind?

Die zeitliche Distanz spielt sicher eine Rolle. Als ich 1993 mit meinen Forschungen begann, war das Interesse noch relativ gering – selbst bei denen, die eigentlich dazu berufen sind, den Historikern der Universität. Erst der jetzige Rektor hat sich sehr engagiert. Es hängt eben mit Personen zusammen. Wenn es an der Universität niemanden gibt, der ein solches Vorhaben unterstützt, muss man warten, bis ein anderer kommt. INTERVIEW: NICOLE MASCHLER