„Politische Zustimmung reicht nicht aus“

Für den Experten in Sachen Prävention und Jugendkriminalität, Achim Lazai, kommen die jetzigen Forderungen von Politikern nach Initiativen gegen rechte Gewalt zu spät. Der ehemalige Hauptkommissar warnt vor Kürzung bei bereits bestehenden Präventionsprojekten, die sich bewährt haben

 taz: Im vergangenen Jahr sind Sie bei Schulen, Behörden und Politikern hausieren gegangen mit Ihrer Idee, dass Sportler, mit denen sich Jugendliche identifizieren, Schulpatenschaften übernehmen – als ein Mittel gegen zunehmende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit. Die breite Unterstützung blieb jedoch aus. Jetzt überschlagen sich die Politiker mit Forderungen nach Initiativen gegen rechte Gewalt. Freut Sie das?

Achim Lazai: Es freut mich nicht, überhaupt nicht. Denn der Hintergrund, dass es so weit kommen musste, ist in einer Form belastend, dass man sich nicht freuen kann.

 Meinen Sie also, dass das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist?

Ein Teil, ja. Aus meiner Erfahrung sind die Jugendlichen, die jetzt in dieser schlimmen Weise in den Vordergrund treten, nicht mehr zu erreichen. Bei einer gewissen Verhärtung ist dies so gut wie unmöglich. Man darf das aber natürlich nicht hinnehmen, da muss das Strafgesetzbuch sprechen.

 Was kann mit denen gemacht werden, die noch auf dem Brunnenrand sitzen?

Ich setze ja immer auf Prävention, und das darf nicht abgedroschen klingen. Aber wenn es möglich ist, dass junge Menschen nach rechts rübergezogen werden, dann ist es auch möglich, sie mit anderen Mitteln in die andere Richtung zu ziehen. Es muss ein dichtes Netz an Prävention über die ganze Bundesrepublik gezogen werden, und bei bestehenden Projekten darf der Rotstift nicht angesetzt werden.

 Eins Ihrer größten Verdienste ist das Projekt „Kick“, bei dem der Zulauf Jugendlicher in die rechte Szene durch Sport verhindert werden soll. Viele Politiker haben sich „Kick“-Standorte angesehen, vor einem Jahr besuchte Bundesinnenminister Schily den Standort in Prenzlauer Berg. Trotzdem haben Sie mit Kürzungen zu kämpfen.

Es ist schon von großer Bedeutung, wenn hochrangige Politiker sich für solche Projekte interessieren. Herr Schily hat eine Ausweitung befürwortet. Allerdings reicht politische Zustimmung nicht aus. Wenn Politiker ein Projekt so toll finden, stellt sich mir die Frage: Warum ist es nicht möglich, meinem Vorschlag zu folgen und dieses flächendeckend auszuweiten? Vielleicht kommt es jetzt dazu. In unserem Standort in Neukölln muss aber überlegt werden, eine Kraft einzusparen. Es kann nicht sein, dass Jugendliche abgleiten, weil sie keine Ansprechpartner oder keine Räume haben. „Kick“ wird im vorolympischen Programm in Australien vorgestellt, das sagt etwas über den Stellenwert aus.

 Vielleicht folgen ja Taten, wenn deutsche Politiker über Fernsehberichte aus Australien an „Kick“ erinnert werden.

Ich hoffe nicht, dass der lange Weg nötig ist.

 Anfang des Jahres nahmen Sie an einem Expertengespräch im Bundesinnenministerium zum „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“ teil. Was hat es gebracht?

Aus meiner Sicht hat es einige recht gute Ansätze gegeben. Das Endergebnis steht aber noch aus. Ich möchte appellieren, dass man bei einer Neuauflegung der Zusammenkunft nicht so sehr an den Praktikern vorbeigeht. Denn es ist eilbedürftig.

Interview: BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Achim Lazai (62), ehemaliger Hauptkommissar, initiierte das Sportprojekt „Kick“. Nachdem es anfangs im starren Polizeiapparat stecken zu bleiben drohte, ist es längst zum Vorzeigeprojekt geworden. Lazai bekam dafür das Bundesverdienstkreuz.