Grenztest an der Neiße

Das Antirassistische Grenzcamp im adretten Städtchen Forst wird trotz Verbot von der Polizei geduldet. Die Teilnehmer wundern sich darüber und werben für Toleranz gegenüber Flüchtlingen

von JULIA NAUMANN

Das Städtchen sieht geleckt aus: Frisch renovierte Plattenbauten in Blütenweiß und Zartrosa, ein gepflegter Rosengarten mitten in der Stadt, Datschen mit akkuraten Beeten und Gartenzwergen am Ufer der Neiße. Eine scheinbar friedliche Idylle.

Doch seit dem Wochenende ist in der südbrandenburgischen Stadt Forst alles anders: 500 meist junge Menschen haben sich mit Zelten und bunten Wohnwagen auf einer Brache am Rande der 25.000 Einwohner-Stadt niedergelassen. Sie sind TeilnehmerInnen des „Grenzcamps 2000“ und wollen eine Woche lang in dem Ort unmittelbar an der polnischen Grenze „Sand im Getriebe sein“ und gegen den „rassistischen Normalzustand“ demonstrieren.

Die Neiße, die so genannte grüne Grenze zu Polen, ist die bestgesicherte Grenze Europas. Hier patroullieren Tag und Nacht BeamtInnen des Bundesgrenzschutz (BGS) und suchen nach Flüchtlingen, die den Fluss durchquert haben.

„Wir wollen diesen Alltag durchbrechen, stören und informieren“, beschreibt ein aus Göttingen angereister Teilnehmer das Konzept. In der Nacht zum Dienstag versuchten Grenzcamper die Arbeit der Grenzschützer zu behindern, nachdem sie gehört hatten, dass 10 „Illegale“ die Neiße überquert hätten und jetzt vom BGS gesucht würden. Das Resultat: Sie schmissen Scheiben eines BGS-Hauses ein und kippten ein paar Mülltonnen um.

Vorgestern paddelten GrenzcamperInnen mit einem Schlauchboot auf der Neiße und versuchten mit Seilen und Transparenten eine symbolische Brücke zu bauen. Doch die Strömung des braungrünen Grenzflusses ist sehr stark. So war es äußerst schwierig, zum anderen Ufer zu kommen. Eine Erfahrung, die schon andere machen mussten. 1994 ertranken in der Neiße acht TamilInnen.

Doch die Provokation hält sich in Grenzen: Polizei und BGS tolerieren bisher die Aktivitäten der CamperInnen. Zwar kreist ständig ein Polizeihubschrauber über der Stadt, und am Camp steht ein Streifenwagen. Doch als rund 200 CamperInnen am Dienstag spontan durch die Stadt ziehen, kurzfristig eine stillgelegte Brücke über der Neiße besetzen und im Fluss baden, sind gerade mal sechs PolizistInnen im Einsatz. „Warum sollen wir was unternehmen?“, fragt der zuständige BGS-Inspektionsleiter. „Die sind doch ganz friedlich.“

Diese ungewohnte Akzeptanz überrascht die TeilnehmerInnen. Der Forster Bürgermeister Gerhard Reinfeld (CDU) hatte dem Camp in der Stadt die Genehmigung verweigert. Seit die Camper am Freitag nach einer Demonstration gegen das Verbot die Brache besetzten, werden sie aber von der Polizei geduldet.

„Wir wissen gar nicht genau, wie wir das finden sollen“, wundert sich eine Frau aus Berlin. Es sehe so aus, als ob das Camp kurzerhand vom „Toleranten Brandenburg“ geschluckt worden sei – dem umstrittenen Programm der SPD-CDU-Regierung gegen Rechtsextremismus. „Dabei sind wir doch Linksradikale.“ Sie glaubt, dass die neue Toleranz etwas mit der derzeitigen Diskussion über Rechtsextremismus zu tun habe. „Uns zu räumen, das können sie sich momentan nicht leisten.“

Bürgermeister Reinfeld ist weiter strikt gegen das Camp. Antirassismus interessiere ihn nicht, hat er der Vorbereitungsgruppe mitgeteilt. „So etwas geht nur, wenn es ordentlich organisiert ist“, sagt er gegenüber der taz, „und dann muss auch ein Schirmherr her, zum Beispiel der Bundestagspräsident.“

Wenn Reinfeld das Camp besucht hätte, würde er wahrscheinlich staunen, wie „ordentlich“ alles organisiert ist. Jeden Morgen findet ein Delegiertentreffen statt, auf dem die Aktionen und Veranstaltungen besprochen werden. Es gibt ein Infozelt, eine Pressegruppe, Computer für E-Mails und Flugblätter. Tagsüber werden Seminare angeboten. Über „Männer und Militanz“, Identitätspolitik, oder „Wie gehen wir mit rassistischer Bevölkerung um?“

Rund zwanzig Flüchtlinge von der Selbsthilfeorganisation „The Voice“ aus Jena sind auch dabei. Ursprünglich wurden mehr als hundert Flüchtlinge erwartet. Doch das zu organisieren war schwer. Asylbewerber dürfen ihren Landkreis offiziell nicht verlassen. Und: „Es gibt sprachliche Probleme und große kulturelle Unterschiede“, so eine Frau aus dem Vorbereitungstreffen.

Dass fast nur Deutsche neben wenigen PolInnen und TschechInnen am Camp teilnehmen, stößt auch auf Kritik. „Wir sind hier viel zu dominant. Nicht das, was wir wollen, sondern was die Flüchtlinge wollen, ist wichtig“, sagt ein Mann aus Hamburg. Auch die nächtlichen Störaktionen fand nicht bei allen positive Resonanz: „Dadurch bedienen wir doch das Klischee der gewaltbereiten Chaoten“, kritisiert ein Teilnehmer.

Mehr Kontakt zu Flüchtlingen entsteht bei den „Umtauschaktionen“. Die AsylbewerberInnen des Forsters Heims bekommen ihre Sozialhilfe nicht bar ausgezahlt, sondern nur Wertgutscheinen für bestimmte Geschäfte. Mit professionell gestalteten Broschüren versucht eine Gruppe aus Erfurt, die Kunden des Supermarkts davon zu überzeugen, dass sie mit den Wertgutscheinen einkaufen und den Flüchtlingen das Bargeld überlassen. Mit Erfolg: An einem Tag kommen 2.700 Mark zusammen, an einem anderen 600.

Die AsylbewerberInnen, die zum Supermarkt inmitten des Plattenbaugebiets gekommen sind, freuen sich über die Aktion: „Endlich zeigen Menschen Solidarität mit uns“, sagt ein Mann aus dem Sudan. Er lebe seit drei Jahren in Forst. Das Leben hier sei sehr langweilig, er könne nicht arbeiten und habe überhaupt keinen Kontakt mit Deutschen. Angepöbelt worden sei er jedoch noch nie. Die Stimmung sei, so fasst er es zusammen, „neutral“.

Man könnte auch sagen: desinteressiert. Die meisten Deutschen, die auf die Umtauschaktion angesprochen werden, hören zwar kurz zu, rauschen dann aber mit erhobenen Kopf in den Supermarkt. Immerhin haben alle Broschüren in die Hand gedrückt bekommen, die das Einkaufssystem dezidiert erklären und für Patenschaften für Flüchtlinge werben.

Auf einer Veranstaltung im Bürgerzentrum gibt es dann schon mehr Diskussion. Immerhin ein Dutzend jüngerer und älterer Forster BürgerInnen sind gekommen. Die Camper zeigen einen Film über Fluchthilfe in Nazi-Deutschland und der DDR und halten ein Referat über die heutige Situation. „Wir hatten ein bisschen Angst vor euch“, sagt ein Forster. Der Bürgermeister habe immer wieder erklärt, dass die Chaoten kämen und die Stadt verwüsteten. Und dann sagt er anerkennend: „Das, was ihr macht, finde ich gut.“

In der Datschensiedlung an der Neiße ist man indes nicht so begeistert. Dort gibt es seit Jahren Bürger, die nächstens mit Hunden und starken Taschenlampen vorgeben, ihre Häuschen und Gartenzwerge schützen. Bei einem nächtlichen Spaziergang wurde ein Camper bereits verbal bedroht: „Hau ab, du Scheiß-Antifa, oder wir schlagen dir den Schädel ein.“