Kein Anti-Grau

Die Mardi Gras.bb bringt den New-Orleans-Karneval nach Mannheim – und sieht darin auch keinen Widerspruch

Man kann es sich ziemlich einfach machen. Mannheim ist – dazu muss man nicht selbst da gewesen sein, um das zu wissen – eine graue Stadt. Industrial Rock wäre da nur zusätzlich deprimierend. Also beschäftigt man sich lieber mit dem bunten Karneval in New Orleans, mit dem fantasievollen Stilmischmasch der Marching Bands, und gründet die Mardi Gras.bb.

Die barocken Mannheimer Karrees, meint Sänger und Mundharmoniker Doktor Wenz, die seien doch „wie in New Orleans“. Überhaupt hätte sein zehnköpfiges Orchester ebenso „in jeder anderen Stadt zustande kommen können“, sie sei bestimmt „kein Aufschrei gegen die Tristesse der Umgebung“. Man sollte es sich also nicht zu einfach machen. Deshalb macht die Mardi Gras.bb ihren beiden „b“s, die für „Brass Band“ stehen, zwar alle Ehre und lässt die Bläser vehement schmettern. Aber im Gegensatz zu den ungefähr sechs oder sieben anderen so genannten Second Line Marching Bands, die es hierzulande noch so gibt, reproduzieren diese Söhne Mannheims nicht nur die klassischen Stücke im historisch verbürgten Sound. Tatsächlich schreiben sie ihre Songs größtenteils selbst und erweitern die Hybride aus Blues, Spirituals, Zirkus- und Marschmusik noch zusätzlich um Rock, Jazz, Latin, Afro, Funk und sogar um HipHop-Elemente. Live wird die Besetzung mit einem DJ ergänzt.

Wichtiger aber noch ist ihr Humor, der niemals die Wurzeln der ehrwürdigen Musik lächerlich macht, aber eine wohltuende Distanz schafft. „Es muss nicht immer Ironie sein“, sagt Wenz, der seinen Spitz- und Künstlernamen immerhin einem abgeschlossenen Medizinstudium verdankt. „Aber fast immer gibt es eine Ebene der Brechung. Es gibt immer wieder Stellen, an denen neben der vordergründigen musikalischen Ebene eine Reibung passiert. Das kann auch das Vermischen von Stilistiken sein, die so nie miteinander vermischt wurden.“

Tatsächlich kommt die Brechung sehr oft von seiner Stimme. Die ist nicht klassisch geschult, sondern in einer Punk-Karriere geplagt worden, die den mittlerweile 35-jährigen Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Anfang der Achtzigerjahre immerhin ein einziges Mal ins Vorprogramm der Toten Hosen auf der Bühne des legendären Ratinger Hofs führte. Irgendwann erkannte er, dass er keine schönen Melodien singen kann. Nun, so sagt er, „bleiben einem viele Peinlichkeiten erspart“. Dafür seien Vergleiche mit Dr. John und Tom Waits „unvermeidlich“.

Wenz empfindet es als Privileg, kein Amerikaner zu sein. Der „touristische Abstand“ ermögliche erst eine kritische Distanz. „Leute, die wir als sehr authentisch und sehr unmittelbar empfinden“, glaubt Wenz, „sind fast immer auch Leute, die in einem sehr engen Gefängnis sitzen.“

Aus diesem Gefängnis bricht die Mardi Gras.bb überaus erfolgreich aus. Zumindest künstlerisch, denn der kommerzielle Durchbruch lässt noch auf sich warten. In Frankreich ist man bislang erfolgreicher als in der Heimat. Die Erfüllung des Kindertraums des Sousaphonisten Reverend Krug ist in weiter Ferne. Der 47-Jährige, der einst bei der Krautrock-Combo Guru Guru spielte, will einmal in seinem Leben beim Jazz & Heritage Festival in New Orleans auftreten. „Ich liebe Geschichten, ich liebe Filme“, sagt der Kollege Wenz, „und es wäre natürlich sehr schön, die Sache irgendwann einmal dahin zurückzutragen, wo sie hergekommen ist.“ Offenbar ist Mannheim doch ein wenig anders als New Orleans.

THOMAS WINKLER

Mardi Gras.bb: „Supersmell“ (Universal Jazz)Tour: 4. 8. Idstein, 5. 8. Schierling, 12. 8. Karlsruhe, 18. 8. Köln, 20. 8. Haßloch, 27. 8. Kaiserslautern, 17. 9. St. Wendel (Jazztage), 20. 9. Bielefeld, 21. 9. Fulda, 22. 9. München, 17. 10. Frankfurt/Main, 18. 10. Münster, 19. 10. Köln, 20. 10. Berlin, 21. 10. Leipzig