Milizen kidnappen Shell-Mitarbeiter

In Nigeria werden radikale Gegner der Ölfirmen mutiger: Sie haben inzwischen ihre Provinzregierungen hinter sich

BERLIN taz ■ Militante Jugendliche in den Ölfeldern Nigerias haben 165 Mitarbeiter einer Vertragsfirma des Ölmultis Shell, darunter 14 Ausländer, als Geiseln genommen. Die Geiselnahme erfolgte im Rahmen einer bewaffneten Übernahme zweier Bohrplattformen im Bundesstaat Bayelsa, der im Herzen des ölproduzierenden Niger-Flussdeltas im Süden Nigerias liegt. Die Angreifer kamen in acht Schnellbooten am Montagabend und halten die Plattformen, wo die Wartungsfirma Mallard Bay im Auftrag Shells arbeitete, seitdem besetzt. Sie verlangen unter anderem nach Shell-Angaben 500.000 Naira (10.000 Mark) sowie die Erhöhung des Kontingents von für Einheimische reservierten Stellen bei Mallard Bay von drei auf 20.

Es ist die bisher größte einzelne Geiselnahme in der nigerianischen Ölindustrie. Die Ölförderung ist zwar der wichtigste Wirtschaftszweig Nigerias, aber die Völker der Ölfelder bekommen zum großen Teil weder Arbeit bei den Ölfirmen, noch profitieren sie von den Öleinnahmen. Seit etwa zwei Jahren dehnen bewaffene Milizen ihre Kontrolle über das Gebiet beständig aus. Sie rekrutieren sich auf ethnischer Basis, liefern sich Schlachten mit Nigerias Kriegsmarine und finanzieren sich oft durch Geiselnahmen. Sie beklagen, dass die vergangenes Jahr gewählte Zivilregierung von Präsident Olusegun Obasanjo bisher ihre Lebensumstände nicht verbessert hat.

Nigerias Regierung beschloss zwar bei ihrem Amtsantritt im Mai 1999, den Anteil der Fördergebiete an den Öleinnahmen von drei auf 13 Prozent zu erhöhen, aber dies reicht den Bewohnern des Niger-Flussdeltas erstens nicht aus und zweitens werden nach Angaben führender Politiker der Region tatsächlich nur 7,8 Prozent gezahlt. Dies könnte Präsident Obasanjo noch zum Verhängnis werden. Denn im Streit um die Ölgelder stehen inzwischen die Gouverneure der sechs Bundesstaaten des Niger-Deltas gegen Obasanjo, obwohl sie sämtlich dessen Regierungspartei PDP (Demokratische Volkspartei) angehören und dem Präsidenten bei seiner Wahl 1999 Traumergebnisse von zum Teil über 100 Prozent der registrierten Wähler bescherten.

Bei einem Treffen Mitte Juli beschlossen die Gouverneure, die 100-prozentige Kontrolle über die Ressourcen ihrer Bundesstaaten zu verlangen und stellten sich damit hinter die Hauptforderung der Milizen. Sie forderten das Bundesparlament – in dem sie über die vielen von ihrer Region gestellten PDP-Abgeordneten großes Gewicht haben – auf, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.

Für Präsident Obasanjo ist die Aufmüpfigkeit seiner Gefolgsleute im Süden des Landes gefährlich, da gleichzeitig im muslimischen Norden Nigerias immer mehr Bundesstaaten das islamische Scharia-Recht einführen, obwohl das verfassungswidrig ist. Zwei weitere, Katsina und Jigawa, haben das diese Woche getan; insgesamt zählt Nigeria nun sechs „Scharia-Staaten“.

Allein in den Institutionen des Zentralstaates kann sich Präsident Obasanjo noch durchsetzen. Nicht zufällig hat ausgerechnet jetzt eine umfassene Untersuchung von Korruption im Parlament ihren Höhepunkt erreicht. Ein Bericht voller Details über die Geldverschleuderungspratiken des Oberhauses wurde am Dienstag vorgelegt; nun mehren sich Forderungen, auch das Unterhaus zu durchleuchten. Je mehr sich das Parlament mit den eigenen Schwächen beschäftigen muss, desto weniger kann es Initiativen starten, die dem Präsidenten ungelegen kommen. DOMINIC JOHNSON