Anheimelnd melancholisch

■ Bremer Labels, Teil IV: Happy Zloty veröffentlicht Platten für jene Rockfans, die gern Achterbahn fahren – in alle Richtungen gleichzeitig

Ansgar Wilken dachte sich, im Jahr 2000 müsste man etwas Neues ausprobieren. Also gründete er ein Plattenlabel und brachte erst mal eine Single seines Projekts „Diazo“ heraus, das er mit dem Saxophonis-ten Markus Wenninger betreibt. „Ich habe festgestellt, dass die Sachen, die ich interessant und gut finde, sei es Elektronik oder Rock, meistens unter den Begriff Avantgarde fallen“, meint Ansgar und wird sowohl mit Diazo, als auch mit seiner anderen Band dieser Einschätzung gerecht.

Die Band Ilse Lau, verantwortlich für Happy-Zloty-Veröffentlichung Nummer zwei, sind ungefähr so sehr Rock, wie Diazo... – tja, was eigentlich sind? Bei Diazo entstehen unter Verwendung von Saxophon, Elektronik und Gitarre spannungsvolle, auf merkwürdige Weise anheimelnde, melancholische Klanggebilde. Ilse Lau hinwiederum dürften für Leute, bei denen Rock die gesamte Vielfalt zwischen AC/DC und ZZ Top darstellt, ein einigermaßen erschütterndes Erlebnis sein.

Unter Einsatz von Gitarre, elekt-risch, Bass, ebenso, und Schlagzeug plus Saxophon, schon Indiz für etwas anderes als Rock, wird hier durchaus laut gespielt. Allerdings gibt es nicht allzu viele Bands, deren Stücke von einer derart aberwitzigen Dichte sind. Achterbahn wäre noch ein zu schwaches Bild, es sei denn, es gäbe eine, die in mehrere Richtungen zugleich fährt. Die Geschichte von Ilse Lau und Happy Zloty ist nicht nur durch Ansgar Wilken, frisch gebackener Label-Betreiber und Gitarrist bei Ilse Lau, miteinander verknüpft, sondern auf eine Art auch zutiefst, sagen wir: bremisch. Ilse Lau-Bassist Fokke spielte einst in der Bremer Punk-Institution Nebenwirkung, bis er eines schönen Tages ein wenig die Lust an vierviertelndem Uffta-Punk verlor und sich mit einem Schlagzeuger namens Schlewi etwas schräger verlustierte.

Mehr oder weniger zufällig trafen sie vor vier Jahren auf Ansgar, gerade Aurich entronnen und noch nicht einmal im Besitz einer Wohnung, und gründeten Ilse Lau. Als nun Ansgar mit einem Paket Ilse Lau-Singles in den Plattenladen kam, in dem Henning arbeitete, stellten beide sofort gemeinsame Vorlieben fest. „Wir sind beide sehr große New-Wave-Fans“, betont Henning. Namen wie DNA oder The Contortions fallen da, und Eingeweihte nicken wohlwollend. „Ich habe die Single gehört und dachte: Wow, so was Geiles gibt es in Bremen!?“ Als Schlewi vor zwei Jahren ausstieg, war Henning prädestiniert, den Platz zu übernehmen. Schlewi wohnte damals direkt über Henning, in ebenjener Wohnung, in der später Markus Wenninger wohnte, der nun am Samstag das letzte Mal bei Ilse Lau seine verschlungenen, berstenden Saxophonlinien spielen wird.

Die CD „Cie.de Koe“, verpackt in ein wunderschönes Cover, das vom Bremer Social-Beat-Protagonisten Dennis Busch gestaltet wurde und deren Veröffentlichung am Samstag gefeiert wird, enthält sozusagen die Ergebnisse einer nunmehr abgeschlossenen Phase. Was kommt, darf mit Spannung erwartet werden, nicht zuletzt, weil Henning sich als Fernziel einen Kom-plexitätsgrad in ungefährer Höhe von U.S. Maple gesetzt hat, und das ist schon beträchtlich.

Vor Ilse Lau wird ein weiterer Happy-Zloty-Künstler auf der Bühne stehen: Volker Hormann, der unter dem Eindruck solcher Heroen wie Leo Kottke, Fred Frith und vor allem Derek Bailey das Spiel ganz allein auf der Gitarre pflegt. Für seine Single, die demnächst auf Happy Zloty erscheint, hat er unter dem Titel „Jungle Guitar Music“ die Geräusche des Urwalds auf seiner Gitarre nachgespielt und vermittels nachträglicher Verfremdung den Brüllaffen Borneos aufs Maul geschaut.

Und Happy Zloty geht noch weiter. Für eine Single-Compilation sucht er noch Musiker, die Material zur Verfügung stellen, an das er selbst noch nach eigenem Willen Hand anlegen wird. Wer ab und an die Konzerte des „Knieschuss-Clubs“ im ZAKK besucht, die der ganz und gar nicht faule Ansgar dort mit einem Freund veranstaltet, weiß in ungefähr, was ihn erwartet: das Unerwartete. Wer sich mit seiner Plattensammlung langweilt, könnte hier die Lösung seiner Probleme finden.

Andreas Schnell

Ilse Lau und Volker Hormann spielen am Samstag, den 5. August, ab 20 Uhr im Kairo. „Cie.de Koe“ gibt es bei Happy Zloty (Mail-Adresse: happyzloty@web.de ) und im Viertel-Plattenladen „Überschall“