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: HELMUT HÖGE über Terror von rechts

Deep under your skins

Die Sommeroffensive der Neonazis beunruhigt Politiker und Pamphletisten. Die US-Greenpeace-Campaignerin Caroline rät gar zu einer neuen „Kampagne“, inklusive Bus-Shuttleservice für rechte Landeier in die linken Kultur-Hotspots. Sowieso machen sich die hiesigen Amis gerne einen heißen Kopf über die mit Handys ausgerüsteten neudeutschen Nazi-Schlägerbanden. Erst mal fällt ihnen dazu der Schuldbegriff ein: Wer einen Ausländer zusammenschlägt oder tötet – der muss auch dafür büßen. „Es ist einfach Irrsinn, dafür die verkorkste Wiedervereinigung, die DDR-Kitaerziehung oder rustikale Reizunterflutungen verantwortlich zu machen“, so eine US-Historikerin, die für ein neues Reeducation-Programm eintritt, das sie 1993 mit Jugendlichen in Dresden vorexerzierte.

In den USA gab es in den Achtzigern ein inneres Peace-Corps - für die Ghettos. Hier reichte es dann nur zu einigen toleranten Lichterketten in toten Fußgängerzonen und zu einer taz-Leserbriefkampagne, mit der ein Brandenburg-Boykott durchgesetzt werden sollte.

Jürgen Kuttner machte daraus ein witziges Volksbühnen-Garagenstück. Neulich geriet er auf der Privat-Schlossparty eines FU-Staatsrechtlers in der Uckermark mit einem Münchner BMW-Schnulli aneinander, der alle Ostler für Tendenzfaschisten hielt – und nicht einsah, dass die über die Ex-DDR gesprenkelten Dorf-Rechten ihren Kampfgeist gerade aus diesen EU-subventionierten Weekend-Schlossbesitzern beziehen.

Man müsste mal eine Liegenschaftskarte dieser westdeutschen Kriegsgewinnler anlegen – beginnend mit dem unseligen Puttbus auf Rügen, dem gefürchteten Lübecker Immobilienduo Wöhlke und Tribess, dem raffgierigen Grafen von Schwerin, dem Düsseldorfer Porschevertreter Hardenberg, Botho Strauß in der Uckermark, dem Toskana-Architekten Nalbach in MV, Jauch und Joop in Potsdam, die Würzburger Jeunesse-d’orée-Clique in Weimar, die alle am Hang residierenden Mediziner und Juristen in Jena usw.

Wie diese Neonazis umgekehrt inzwischen fast alle linken Untergrundattribute auf sich vereinen: von Staat, Presse, Lehrern gehasst, von Schönbohm verfolgt, in Knästen geschult – und aus Angela Merkels „Gewalt-Topf“ subventioniert. Hinzu kommt noch, dass die Kommunen wegen der abschreckenden Wirkung, die Neonazis auf Touristen und Investoren haben, ihre lokalen Schlägerbanden eher verniedlichen. In Eberswalde, Cottbus, Schwedt, Guben und Hoyerswerda zum Beispiel gab man vor allem der Presse die Schuld.

Als ich auf taz-Tournee in Ahlbeck weilte, wurden dort allabendlich vorm Strandrestaurant Touristen von Rechten angegriffen – der Gemeinde gelang es jedoch, das „Problem“ in aller Stille beizulegen: Die Ahlbecker hatten ihre Häuser bis unter die Dachziegel mit Hypotheken belastet – ein Versiegen des Touristenstromes wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Der dort kurende Exminister Waigel gab ihnen Recht: „Ahlbeck ist auf dem richtigen Weg!“ Erst jetzt – mit der Ermordung eines Obdachlosen – wurde das Schweigen gebrochen.

Ähnlich sieht es auch in den anderen verrohten Ost-Orten aus – in Pritzwalk z. B., wo die Neonazi-Clique derart rasserein ist, dass sie im Suff sogar blutschänderisch agiert. Als Faustregel gilt generell – auch im Westen: Der rechte Sumpf ist nicht unbedingt dort schlimm, wo etwas davon als Skandal in die Presse gelangt, sondern dort, wo alles vollkommen ruhig ist. Am Montag wurde zum Beispiel eine türkische Kindergärtnerin von Skinheads auf dem S-Bahnhof Jannowitzbrücke angegriffen. Die per Handy informierte Polizei winkte ab: Für die S-Bahn sei der Bundesgrenzschutz zuständig, dessen Nummer sei über die Auskunft erfahren.