Shell schlägt alle Rekorde

Gewinne und Geiselnahmen auf Höchststand: Während der Konzernprofit sich glatt verdoppelt, wollen Nigerianer auf den Ölfeldern ihren Teil vom Kuchen erkämpfen. Shell verhandlungsbereit

BERLIN taz ■ Einen Tag nach Bekanntwerden der größten Geiselnahme in der Geschichte des Ölkonzerns Shell hat der britisch-niederländische Multi gestern seinen bisher größten Profit vermeldet. Das Quartalsergebnis für April–Juni 2000 weist einen Gewinn von 3,149 Milliarden Dollar aus, 95 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Shell-Vorsitzender Mark Moody-Stuart sprach von „hervorragenden Ergebnissen“. Mit einer Rendite von 16 Prozent – gegenüber 1,8 Prozent vor einem Jahr – liege Shell an der Spitze seiner Branche. Moody-Stuart lobte, Shell habe „ein einmaliges Portfolio von Investitionsgelegenheiten in jeder Region der Erde, vor allem in Gas und Tiefseebohrungen“.

Während Moody-Stuart sprach, wartete sein Konzern in Nigeria – wo Shells größte Investitionsgelegenheiten in Gas und Tiefseebohrungen liegen – auf die Freilassung von 165 Mitarbeitern einer Shell-Vertragsfirma, die am Montagabend von einheimischen Milizen gefangen genommen worden waren. Shell hat nach eigenen Angaben zugesagt, mit den Kidnappern zu verhandeln. Gestern sollten die Gefangenen freikommen. Die Bohrplattformbesetzer fordern ein Lösegeld von 10.000 Mark, eine Erhöhung des für Einheimische reservierten Stellenkontingents bei der betroffenen Servicefirma Mallard Bay von 3 auf 20 und einen Tageslohn von 20 Mark für einheimische Angestellte von Subunternehmen der Ölmultis. Die Kidnapper gehören zu einer von vielen lokalen Milizen, die große Teile der Ölfelder im Niger-Flussdelta beherrschen. Shell ist der größte ausländische Teilhaber an Nigerias Ölförderung.

Wenn Shell weiter solche Überschüsse erarbeitet, erwirtschaftet der Konzern in diesem Jahr mehr Profit, als Nigeria überhaupt aus der Ölförderung einnimmt – neun Milliarden Dollar lautet die Prognose von Nigerias Regierung. Auf den Tag umgerechnet, bedeutet das neue Shell-Ergebnis einen täglichen Überschuss von rund 65 Millionen Mark. Das ist in zehn Tagen so viel, wie Nigerias Regierung im ganzen Jahr für Bildung ausgibt – 650 Millionen Mark oder sechs Mark pro Nigerianer. Am 19. Juli hatte Shell-Direktor Mark Moody-Stuart es in einer Grundsatzrede abgelehnt, dass multinationale Konzerne eine „direkte Rolle“ bei der Linderung sozialer Ungleichheit spielen oder in Bildungs- und Gesundheitswesen investieren sollten. „Dies ignoriert den viel wichtigeren sozialen Beitrag, den wir durch unsere Kernaktivitäten leisten können“, sagte Moody-Stuart. D.J.