Musical: Schwarzmaler und Schönrechner

■ Finanzsenator kritisiert „kampagnenhaften Angriff der Grünen“ auf „Jekyll & Hyde“. Die taz dokumentiert die Geschichte der nebulösen Zahlen, halben Wahrheiten und großen Hoffnungen

Sowohl das Wirtschafts- als auch das Finanzressort haben sich gestern vor das Musical „Jekyll & Hyde“ gestellt: Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) kritisierte den „kampagnenartigen Angriff der Grünen“ auf das Musical. Die Grünen hatten vorgestern aus internen Papieren zitiert, wonach das Musical statt 1,7 Milionen Mark jährlichen Zuschüssen nun mindestens drei Millionen Mark benötigen wird. Perschau erinnerte daran, dass sich kein anderer Veranstalter in Bremen an Infrastrukturkosten beteilige – das neugebaute Musicalhaus am Richtweg sei von den privaten Betreibern mitfinanziert worden. Zudem seien die Einnahmen überdurchschnittlich – leider seien dies am Anfang auch die Ausgaben gewesen. Er räumte ein, dass die regionalwirtschaftliche Bilanz negativ ausfallen könnte, „wenn man jetzt nichts täte“. Bei einer durchschnittlichen Laufzeit von Musicals von drei Jahren sei es nicht verfrüht, jetzt über die Kooperation mit anderen Musicals nachzudenken.

Auch Klaus-Wilhelm Timm, Abteilungsleiter im Wirtschaftsressort, verteidigt das Musical. Im Vergleich zu anderen Städten sei die Bremer Finanzkonstruktion „vergleichsweise günstig“, da sich die Betreiber am unternehmerischen Risiko beteiligen würden. In der jetzigen Situation gehe er davon aus, dass sich „auch die private Seite anstrengen muss“. Eine genaue Auslastungszahl für 1999 wollte Timm nicht nennen, sie sei aber nach seinen Kenntnissen „höher als 50 Prozent“ gewesen. So nähern sich nun die öffentlichen Aussagen ganz allmählich immer mehr der Realität an. „Jekyll & Hyde“ – eine Geschichte von Wollen und Sein. Stationen einer Ehe.

Haller: Großmusicals auf Jahre hinaus unverzichtbar

Der Plan. „Bremen verfügt zurzeit nicht über eine Einrichtung, die für Aufführungen eines Musicals für den überregionalen Markt geeignet ist“, schreibt der ehemalige Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller im März 1997 an seinen sehr geehrten Herrn Kollegen, den Finanzstaatsrat Günter Dannemann. Viele nationale und internationale Beispiele zeigten aber, so fuhr Haller fort, dass „ein so genanntes Großmusical noch auf viele Jahre ein unverzichtbarer Bestandteil eines leis-tungsfähigen touristischen Paketangebots darstellt.“

Der Bau. Im Sommer 1997 wird mit dem, wie erst jetzt bekannt wurde, 54,5 Millionen Mark teuren Umbau des ehemaligen Showparks und Zentralbades am Richtweg begonnen. Am 19. Februar 1999 ist Premiere. Die Verantwortlichen für Produktion und den Umbau: Michael Arend, Gebäudeeigentümer und heute geschäftsführender (Haupt-) Gesellschafter, Frank Bue-cheler, künstlerisch verantwortlicher Produzent, und Lutz Jarosch, kaufmännisch verantwortlicher Produzent. „Jekyll & Hyde“ ist mit Produktionskosten in Höhe von 22 Millionen Mark eines der teuersten deutschen Musicals.

Erfolgspläne. Nach Angaben der Produzenten gelingt es, schon vor der Premiere 100.000 Karten abzusetzen. Ob sie zum vollen Preis verkauft worden sind, ist nicht bekannt. Lutz Jarosch überzieht Nordwestdeutschland bis ins Ruhrgebiet vor der Premiere mit einer Fülle nicht zu übersehender Werbung. Eine schrittweise Ausdehnung der Werbung auf ganz Deutschland ist geplant.

Die Auslastung I. Am 14. März 1999, also drei Wochen nach der Premiere, meldet die Deutsche Presseagentur eine über den Erwartungen der Produzenten liegende Auslastung von 85 Prozent. Gegenüber der Bürgerschaft gibt Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) am 19. Juli 1999 die Auslastung bis zum 4. Juli mit 81,6 Prozent und 163.000 BesucherInnen an. Noch am 8. Juli spricht Jarosch von 75 Prozent. Am 22. September 1999 gibt Wirtschaftsstaatsrat Uwe Färber auf Anfrage der Grünen im Parlament die Sommerzahlen bekannt: 51 Prozent im Juli, 53 Prozent im August. Nach Auffassung Färbers bringen solche Nachfragen das Musical in Misskredit. Die Durchschnittsauslastung werde aber 1999 weit über Plan liegen. Die CDU und SPD klatschen Beifall.

Zum Abschied. Im Spätsommer 1999 zieht sich Lutz Jarosch nach eigener Darstellung wie geplant aus dem operativen Geschäft zurück. Doch laut einer Vorlage für den Aufsichtsrat der stadteigenen Finanzierungsgesellschaft HAGÖF wird Jarosch wegen Kostenüberschreitungen – dem Vernehmen nach einer Spesenabrechnung in Höhe von 500.000 Mark – von seiner Tätigkeit freigestellt. René Meyer-Brede wird Generalbevollmächtigter des Hauptgesellschafters Michael Arend. Er kündigt an, beim Marketing auf die Region Bremen zu setzen. Peter Siemering, Chef der Touristikzentrale BTZ, widerspricht: „Regionales Marketing reicht nicht aus.“ Unter Bremer Politikern erwirbt sich Meyer-Brede schnell den Ruf des Sanierers. Außer von Jarosch wird dies auch von ehemaligen Mitarbeitern bestritten: Die meisten Einsparungen seien von vornherein geplant gewesen.

Die Auslastung war 1999 viel niedriger, als bekannt war

Die Auslastung II. Im Februar 2000 nennt René Meyer-Brede Zahlen für 1999. Demnach betrug die Auslastung 68 Prozent. Er nennt die Zahl von 400.000 BesucherInnen einen Umsatz von 36,5 Millionen Mark. In der Vorlage für die HAGÖF-Aufsichtsratssitzung am 23. Juni 2000 ist dagegen von 320.000 BesucherInnen sowie von einem Jahresumsatz 1999 in Höhe von 33,4 Millionen Mark (inkl. sonstiger Erlöse) die Rede. Der durchschnittliche Kartenverkaufspreis sank der Vorlage zufolge von geplanten 114 Mark auf 88 Mark – zurzeit werden Karten sogar für unter 49 Mark angeboten. Laut Vorlage liegt der nötige Zuschuss 1999 und bis voraussichtlich 2001 bei drei Millionen Mark jährlich. Laut dem Vertragswerk zwischen Stadt und Produzenten ist die Zuschuss-höhe vom Umsatz und der Auslastung abhängig. Rechnet man den erzielten Umsatz auf den ursprünglich geplanten durchschnittlichen Kartenpreis um, lag die Auslastung 1999 höchstens bei 55 Prozent. In diesem Jahr wurden die Erwartungen noch weiter unterschritten. Nach der HAGÖF-Vorlage lag der Umsatz im ersten Quartal 2000 um zwei Millionen Mark, also fast 15 Prozent, unter dem Plan.

Verschärfte Krise. Im Mai 2000 werden die Zahlungsschwierigkeiten der Musicalbetreiber dramatisch. Michael Arend wendet sich mit der Bitte um ein Darlehen an die Bremer Investititons-Gesellschaft BIG, um den Konkurs abzuwenden. Im Theater am Richtweg geht die Furcht davor um, die Löhne und Gehälter nicht mehr zu bekommen. Die Sparkasse hatte mit einer Auszahlungssperre gedroht. Bei einer Betriebsversammlung erklärt die Geschäftsführung nach Angaben eines Musicalmitarbeiters, dass die Sorgen unbegründet seien, weil die Stadt hinter dem Projekt stehe.

Ursachenforschung. Nach Auffassung vieler Bremer Politiker ist Missmanagement in der Anfangszeit für die Krise des Musicals verantwortlich, Lutz Jarosch sei als einer der Hauptverantwortlichen nicht mehr dabei. Dieser Missmanagementvorwurf wird von ehemaligen Mitarbeitern bestritten: Die Gesellschafter hätten jeder Ausgabe über 100.000 Mark zugestimmt. Vielmehr wächst die Kritik an der amtierenden Geschäftsführung und vor allem an ihrer Vernachlässigung des Marketing. Selbst die Autoren der HAGÖF-Vorlage weisen darauf hin, dass die Ausgaben für Marketing im ersten Quartal 2000 halbiert worden seien, um ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen. Ausdrücklich betonen sie, dass ausreichende Werbemaßnahmen sicherzustellen seien. Zurzeit arbeitet die PwC Deutsche Revision AG im Auftrag der HAGÖF an einem Sanierungskonzept. cd/ck