Formvollendet funktionieren

Vom Baukünstler zum Dienstleister: Während Architektur zu einer Ware wird, wandelt sich auch das Berufsbild des Architekten. Wer heute als junger Berufseinsteiger nicht als „besserer Bauzeichner“ versauern möchte, muss eigene Wege gehen

von OLE SCHULZ

Seit je galt sie als Vorzeigebeispiel für die Verbindung der schönen mit der praktischen Kunst, von Ästhetik und Nützlichkeit, Form und Funktion: die Architektur. Das Bauhaus strebte gar nach einer „Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst“; nicht weniger, als dass eine Architektur mit gesellschaftlichem Anspruch zur künstlerischen Leitdisziplin werden sollte, wurde im Bauhaus-Manifest von 1919 gefordert.

Anno 2000 erleben junge Architekten den Einstieg in die Berufspraxis unter ganz anderen Vorzeichen, sofern sie angesichts der großen Konkurrenz und der angespannten Arbeitsmarktlage bei den Architekten überhaupt einen Job bekommen.

Wer heutzutage sein Architekturstudium abschließt, tritt in einen Berufsstand ein, der langsam zwischen Investoren und Generalübernehmern aufgerieben zu werden droht. In einer Zeit, in der den „gemeinen“ Bauherr allein interessiert: Was bekomme ich wann für welchen Preis, habe sich ihr „Kompetenzverlust“ beschleunigt, schreibt die Bauwelt über den „neuen Architekten“, der sich zunehmend vom Baukünstler zum Dienstleister wandle (siehe Kasten).

Architektur also nur mehr als bloße Ware? „Anstelle der Architektur muss der Architekt in erster Linie eine Dienstleistung anbieten“, urteilte jedenfalls auch die Dresdner Bank vergangenes Jahr in ihrer Branchenanalyse. „Erfolgreiche Architekten werden zukünftig in der Regel weniger planen, entwerfen und rechnen, dafür mehr integrieren und moderieren.“ Nachdem sie erst mühselig das CAD-Programm am Mac erlernten, um am Ball zu bleiben, wird den Architekten jetzt auf einmal empfohlen, Management-Seminare zu belegen.

Für künstlerisches Arbeiten bleibt gerade den jungen Architekten wenig Raum. An der Hochschule haben sie zwar gelernt, planerische Entwürfe auf hohem Niveau zu fertigen, im Büro müssen sie dann die ersten Jahre meistens als „bessere Bauzeichner“ für ihre Chefs schuften. Oder sie kalkulieren Kosten, stimmen Termine mit den Handwerkern ab, fordern ausgebliebene Leistungen ein und kümmern sich um Schadensersatzansprüche – all dies gehört zur harten Schule ihres zunächst wenig kreativen Alltags.

Wer als Berufsanfänger nicht als Büroknecht versauern oder etwa als „PR-Architekt“ die Ideen anderer vermarkten möchte, muss schon ein wenig Eigeninitiative aufbringen. Thomas Max (Name geändert) ist zum Beispiel einen anderen Weg gegangen. Bereits während des Studiums haben den heute 35-Jährigen städtebauliche und theoretische Fragen mehr interessiert als das Zeichnen von Entwürfen.

Als er 1993 sein Diplom gemacht hat, arbeitete er zunächst als Wettbewerbs-Vorprüfer. Im Unterschied zu heute sei es damals kein Problem gewesen, „in Berlin Arbeit zu bekommen, weil die großen Wettbewerbe liefen und überall gebaut wurde“. Danach hat er die Öffentlichkeitsarbeit für ein Entwicklungsgebiet organisert, war publizistisch tätig und hat städtebauliche Gutachten für den Senat geschrieben. Sein Vorbilder sind eigenwillige Architekten wie das britische Ehepaar Allison und Peter Smithson, die nicht wie am Fließband pausenlos neue Häuser produzieren.

Statt in irgendeinem Büro „am Sessel anzuwachsen“, hangelt sich Max von einem Projekt zum nächsten und legt immer mal wieder Verschnaufpausen ein. Den Stress und die Hektik, die der Beruf mit sich bringt, wolle er wenigstens selbst bestimmen, sagt Max. „In den letzten Jahren habe ich nur das gemacht, worauf ich Lust hatte.“

Weil er die neun erforderlichen „Leistungsphasen“ bis heute nicht abgeschlossen hat, darf er sich offiziell auch nicht Architekt nennen. In seinem Briefkopf hat Max „Diplom-Ingenieur für Architektur“ geschrieben –eine Bezeichnung, die ihm schon Ärger mit der gestrengen Architektenkammer eingebracht hat.

„Architekt und Handwerker“ steht dagegen auf der Visitenkarte von Markus Behr (Name geändert), der zuerst eine Lehre als Stuckateur gemacht und später in den USA den „magister of architecture“ erworben hat. Eigentlich darf sich auch der 32-Jährige Behr nicht als Architekt bezeichnen, denn ihm fehlt bisher der dafür notwendige Nachweis der Tätigkeit als Bauleiter.

Behr will sich nicht als Zeichner in einem Büro „verheizen“ lassen und ist deshalb in erster Linie freiberuflich tätig. „Mich reizt es, mit den Händen zu arbeiten und nicht nur die Bauplanung zu machen.“ Zurzeit leitet er einen aufwendigen Umbau einer Charlottenburger Altbauwohnung an, bei dem er natürlich selbst mit Hand anlegt. Anschließend hat er einen ungewöhnlichen Auftrag, auf den er sich schon jetzt freut: Er soll in einer Kirche den Altarraum neu gestalten.

Zumindest für Behr und Max bedeutet Architektur mehr als eine Ware, die ausschließlich der Kapitalrendite dient. Behr glaubt zum Beispiel, dass es enorm wichtig sei, dass die Architekten den „Dialog mit der Öffentlichkeit“ suchen, vor allem mit den künftigen Nutzern – den Bewohnern. „Viele Architekten setzen einfach ein neues Gebäude hin und denken, damit hat es sich.“

Behrs Kollege Max kann dem Wandel des Berufsbildes der Architekten auch Gutes abgewinnen: Weil man als Architekt bei jedem Bauvorhaben mehr und mehr „Querschnittsaufgaben“ übernehmen müsse, habe man auch eine große „integrative Kraft“ – und die könne verantwortungsvoll genutzt werden.