Antirassismus von oben

Nach dem Anschlag in Düsseldorf: Alle kämpfen jetzt gegen rechts. Und haben gute Vorschläge. „Zivilgesellschaft“ wird verordnet. Und die Grünen können das Thema „innere Sicherheit“ besetzen

Kommentar von EBERHARD SEIDEL

Wie ein Wirbelwind fegte der Rechtsextremismus in dieser Woche durch das Land. In allen Redaktionen standen die Alarmlichter auf Rot. Die Gemüter waren und sind erregt. Und inzwischen hat jede mehr oder weniger öffentliche Person ihr Statement abgegeben, wie der Rechtsradikalismus am wirkungsvollsten zu bekämpfen sei. Die einen wollen weniger Verständnis für die Biografien rechter Täter, die anderen mehr.

  Die einen fordern härtere Strafen, andere meinen, es wird hart genug gestraft. Die einen drängen auf Verbote – von NPD und Hassseiten im Internet. Die anderen machen darauf aufmerksam, dass beides nicht so einfach geht und damit auch wenig bringt.

Es ist das alte Spiel. Wenn es um das Erregungsdreieck „Jugend – Gewalt – Rechtsextremismus“ geht, weiß jeder, was zu tun ist. Die Rollen sind seit Jahren gleich besetzt: hier der Sprecher des Zentralrats der Juden, der auf ein allzu lang verdrängtes Problem hinweist, dort ein Sprecher der Türkischen Gemeinde, der ihn bestätigt. Hier der Politiker, der sich mit der markigen Forderung nach „Null Toleranz“ (Joschka Fischer) in Szene setzt, dort der Jugend- und Gewaltforscher, der leise und bedacht auf Strukturzusammenhänge und Politikversagen hinweist.

Unhinterfragt wird seit Tagen ein Anstieg rechtsradikaler Straftaten im ersten Halbjahr 2000 behauptet. Die Statistik lehrt anderes: Von 1998 auf 1999 ging die Zahl rechter Gewaltdelikte leicht zurück. Im ersten Halbjahr hat sich die Tendenz fortgesetzt. Wer darauf verweist, der gilt schnell als Spielverderber. Denn das Gesellschaftsspiel „Kampf dem Rechtsextremismus“ droht dann zu Ende zu gehen, wenn die Formel nicht mehr lautet: „Alles wird immer schlimmer.“ Die Nachricht, es wird ein wenig besser, aber die Lage ist schlimm, und das seit Jahren, lässt sich nicht verkaufen.

Eine Hyperventilation wie in der zurückliegenden Woche verwirrt, und sie braucht stets Nahrung. Neue, abscheulichere Verbrechen sind notwendig, um das Publikum bei Laune zu halten. Was aber ist, wenn zum Beispiel der Anschlag in Düsseldorf kein rechtsradikaler war?

Hochschwappende Emotionen sind ein schlechter Bündnispartner bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Erregungszustände sind auf Dauer schwer zu ertragen und führen schnell zur Ermattung. Unangenehmes meidet, wer nicht unmittelbar betroffen ist. Das wäre allerdings ein fatales Ergebnis dieser Sommerwoche. Denn der Skandal ist nicht der behauptete Anstieg rechter Gewalt, sondern der rassistische Alltag, die Regionen, die Dunkelhäutige meiden müssen.

Bei allen Ritualen, die wir augenblicklich erleben – etwas ist neu im Vergleich zu den Jahren um Rostock-Lichtenhagen und Solingen. Damals organisierte sich der Antirassismus von unten. Heute wird er von der rot-grünen Regierung von oben verordnet. Zivilgesellschaft von oben? Das wäre etwas Neues, und es lässt Schlimmes für die Zukunft befürchten, weil so an das autoritäre Denken vieler Deutscher angeknüpft wird.

Via Rechtsextremismus gelingt sogar den Grünen, was für erfolgreiches Regieren unerlässlich ist – das Feld der inneren Sicherheit zu besetzen. Endlich können sie all das fordern, vor dem sie sonst stets gewarnt haben: härtere und schnellere Strafen, Verbote – das ganze Repressionsarsenal eben, dem man früher aus guten Gründen skeptisch gegenübergestanden hat. Eine solche Politik wird künftigen Opfern wenig helfen. inland SEITE 6