kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Kyudo

Nach einer Stunde der Feldforschung in einer Mariendorfer Turnhalle wird es endlich anschaulich: „Kyudo ist so, als würde man beim Golf immer nur den Abschlag üben.“ Immer nur den Abschlag? Nie einlochen, verwegene Schläge aus dem Bunker wagen, knietief im Morast stecken und den Ball im Tümpel zu treffen versuchen, nie am 18. Loch ankommen und von den Zuschauern bejubelt werden? Nein. Nie. Ja und warum nicht? „Kyudo ist kein Funsport, Tretrollerfahren ist es nun mal nicht.“ Also auch kein Bungee-Jumping und kein Rafting und Fat-Burning sowieso nicht. Sondern Bogenschießen. Traditionelles japanisches Bogenschießen.

Es geht um mehr als das, was man sieht. Es geht um das Bewusstsein, an dessen Verdinglichung sich schon Generationen von Wissenschaftlern die Zähne ausgebissen haben. Und es geht um Konzentration. Der perfekte Schuss, die gekonnte Bewegung ist in dir drin, lass sie raus! Nicht einfach so mit einem Plopp. Für die fachgerechte Entfleuchung des inneren Wissens bedarf es Zeit. Vielleicht fünf Jahre, vielleicht auch vierzehn. Weil die Jugend in einer Flut schnellen Konsums treibt, ist der durchschnittliche Kyudo-Anfänger 35 Jahre alt. Meist einer, der sich in Japans Kampfsportuniversum vorher schon ein wenig umgetan hat. Es kommen welche vom Judo, weil sie sich die „Knochen zerknirscht“ haben, wie es heißt.

Beliebt ist auch der Quereinstieg von der Plattform des Iaido, einer Form des Schwertkampfs. Anzuraten sind überdies ein paar Lektionen in Sachen Zen. Denn was dort im Sitzen abgeht, macht der Kyudo-Schütze im Stehen. Halt! Falsch, sagt ein Sportler. Den Vergleich habe zwar mal ein Japaner gezogen, aber man habe in Deutschland gesehen, was die Nähe zum spirituellen Vergnügen gebracht hat: Der Deutsche Sportbund verweigerte die Aufnahme und verwies auf die Freikirche.

Alles klingt sehr japanisch. Aussehen tut es das auch. Die mit dem fast mannshohen Bambusbogen kleiden sich in einen Hosenrock (Hakama) und ein Unterhemd, den Dogi. Bevor sie den streng ritualisierten Bewegungsablauf exerzieren, schreien sie ein lautes „Hey!“, und man stellt sich sogleich auf, um die Sehne zu spannen. 28 Meter entfernt stehen kleine Zielscheiben, kaum 30 Zentimeter im Durchmesser. Gewertet wird ein Treffer, egal wo er auf der Scheibe einschlug. Die Bögen, alles Direktimporte aus Japan, sind verdammt schlicht. Auf Stabilisatoren und aufwendige Technik wie beim olympischen Bogenschießen wird hier verzichtet. Man gönnt sich nur einen Handschuh, um die Spannung besser ertragen zu können.

Kyudo ist ebenso wie Kendo oder Karate-Do eine japanische Kriegskunst, die später auch am Hofe gezeigt und in der Jagd verwendet wurde. Das Prinzip Do weist den Weg: Die Formung des Charakters steht im Vordergrund. Ebenso wie der Besuch einer Schule, denn es heißt: „Suche dir einen Lehrer und folge ihm.“ In Berlin hängt man dem Heki Tor Yu an, das auf das Kriegsschießen zu Fuß zurück geht. Andere ahmen das Schießen vom Pferd aus nach und führen also den Bogen ein wenig anders. Was alle einen sollte, ist Kan: die Wucht des Treffers, Zhu: der mittige Treffer und Kyu: die Kontinuität des Übens.

70 Kyudoisten haben in Berlin das nötige Durchhaltevermögen. Die Turngemeinde Berlin, Bergmann Borsig, Kyudo Dojo und der Kyudo Klub bieten den Sport an. Wettkämpfe sind ziemlich selten, was dem Bogenschützen nichts ausmacht. Sie liegen im inneren Wettstreit um die bewusste Bewegung. Auf Beiwerk, wie Löcher beim Golf, die dem Sport Sinn geben, verzichtet man. Der Sinn, so die Kyudo-Schützen, liegt in der Wiederholung. MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 10 Punkte