Deutscher Staatsbürger „zweiter Klasse“

Mazhar fühlt sich, trotz deutschem Pass, hier nicht anerkannt. Nicht nur wegen der körperlichen Bedrohung durch Rechte, die ihn zusammenschlugen, sondern vor allem wegen der Ausgrenzungen durch Bürokraten. Berlin-Kreuzberg und sein pakistanisches Restaurant sind seine kleine Oase

„Die Familie gibt mir die meiste Kraft. Meine zwei Töchtersind für mich alles.“

Interview EDITH KRESTA

taz: Du hast in deinem Restaurant ayurvedische Küche. Wo hast du kochen gelernt?

Mazhar: Ich habe in Berlin in verschiedenen Restaurants gearbeitet. Aber die Rezepte habe ich von zu Hause. Wir sind sechs Brüder, und deswegen mussten wir alle mit anpacken. So habe ich gelernt.

Wer kommt in dein Restaurant?

Alles. Es gibt schräge Vögel hier, das macht dass Leben bunt. Es kommt vor, dass hier bis zu zwölf unterschiedliche Nationalitäten sitzen. Das macht richtig Spaß.

Du bist vor 16 Jahren als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Wo hast du Deutsch gelernt?

Das erste Wort, das ich auf Deutsch gelernt habe, war „5,95 Mark“, das war in der Kaufhalle. Eine Frau hat es immer wieder wiederholt, es klang sehr interessant. Am Anfang konnte ich die Sprache nicht, da war ich gehandikapt. Jetzt denke ich deutsch, aber ich fühle nicht deutsch.

Wie hast du „5,95 Mark“ schließlich verstanden?

Ich habe von der Straße gelernt, vom Fernseher, von Radio, Zeitung und auf Volkshochschulen. Im Goethe-Institut habe ich das Sprachdiplom gemacht als Voraussetzung für mein Studium.

Du hast dein Studium als Innenarchitekt beendet. Hast du keine Arbeit gefunden?

Nein. Ich habe alles Mögliche gemacht, ich bin Lkw gefahren, habe Führerschein Klasse 2, ich habe Gartenarbeit gemacht, auf Baustellen gearbeitet. Ich habe genommen, was kam. Ich habe nicht rumgesessen und gewartet. Ich habe bei der Stadtreinigung gearbeitet und bin Papier sticken gegangen, weil mein Vorarbeiter der Meinung war, ich sei zu blöd, die Schippe zu führen.

Warst du wieder in Pakistan?

Ich war Anfang dieses Jahres zu Hause. Da ist eine Sache passiert, die mich sehr aufregt. Ich war in der deutschen Botschaft in Islamabad und wollte ein Visum für meinen kleine Bruder. Er sollte als Spezilitätenkoch nach Deutschland mitkommen. Und bei der deutschen Botschaft durfte ich, trotz deutschem Pass, nicht einmal hinein.

Warum?

Die Frage stellte ich auch. Sie wurde nicht beantwortet. Wenn die Deutschen die Staatsbürgerschaft verleihen, dann müssen sie dazuschreiben, welche Kategorie. Wenn wir unsere Eltern zu Gast haben wollen, dann brauchen wir eine Genehmigung. Wir sind Bürger zweiter Klasse.

Wurde dir schon mal eine Einladung außer der deines kleinen Bruders abgelehnt?

Ja. Trotz Einladung und Krankenversicherung. Mein Vater ist pensionierter Mediziner. Er hat seine Privatklink, sein Haus, seine Kinder sind groß, er hat alles, er ist zufrieden. Ich habe ihn eingeladen. Kein Visum. Kurzer Vermerk: This case can not be discussed on the counter.

Fühlst du dich hier bedroht?

Ja. Der Straßenkehrer benutzt massive Ausdrücke wie Scheißkanake für mich. Meine Beleidigungsklage wird dann abgewiesen. Im Großhandel gebe ich die Karte ab, darf sie aber erst haben, wenn ich gezahlt habe . . . Das Negative kann ich wahrscheinlich an zwei Händen abzählen, aber es überwiegt das Positive.

Vor allem die alltägliche Ausgrenzung scheint dich zu verletzen.

Genau. Angst vor Rassismus und den Rechten, die auf die Straße gehen und Bomberjacken tragen, habe ich am allerwenigsten. Das sind Holzköpfe. Wenn ich sie sehe, kann ich auf die andere Straßenseite wechseln. Aber vor den Leuten, die hinter Schreibtischen sitzen, die ganz normal aussehen, die man nicht in irgendwelche Schubladen schieben kann, vor denen habe ich viel mehr Angst. Manchmal sind Handlungsweisen genauso verletzend wie die direkte körperliche Gewalt der Glatzen. Nur: Seelische Verletzungen heilen schwerer.

Wurdest du schon einmal körperlich bedroht?

Ich habe hier am Arm eine Narbe vom 31. 12. 1998, 23.45 Uhr. Ich war unterwegs nach Hause Ich wohne in Lichtenberg, im Osten der Stadt. Wenn man dort aus der S-Bahn aussteigt, dann ist das für mich fast ein Ausnahmezustand. Also da standen Leute. Als ich vorbeiging, fing ein Mann an zu schreien. Dann sah ich elf Glatzen, und ich weiß nicht, ob man das als Schlägerei bezeichnen kann, weil ich ja nur einstecken musste. Ich habe nur geschaut, in welche Richtung ich rennen kann, denn es hilft einem ja niemand. Letztes Jahr ist mir was Ähnliches wieder passiert.

Also lebst du dort doch immer mit der Angst?

Also wirklich, die Angst ist dermaßen. Ich bin benutze nie S-Bahn, auch keine öffentlichen Verkehrsmittel, Entweder fahre ich mit dem Auto oder Taxi.

Ist die Angst im Osten Berlins größer als im Westen?

„In Zukunft wird es für mich ohnehinkeine ortsgebundenenJobs mehr geben“

Das ist ein großer Unterschied. Dehalb habe ich meinen Laden in Kreuzberg und nicht in Lichtenberg. Wenn ich in Lichtenberg auf die Straße komme, habe ich Phobie.

Warum zieht ihr nicht weg?

Ich versuche es die ganze Zeit, aber wir finden nichts. Ein Familie mit zwei Kindern, das ist nicht so einfach. Und außerdem: Wo man auch hingeht, man fühlt: Du gehörst nicht hierher. Wieso können wir uns nicht im ganzen Land sicher fühlen? Wieso können wir nicht irgendwo hingehen, egal ob Ost oder West? Hier sollte die Politik mal darüber nachdenken, wo sie versagt hat.

Hat sich durch die rot-grüne Koalition etwas verändert?

Als der Wechsel kam, fühlte ich mich, als ob man mir ein paar Halsschrauben gelockert hätte. Ich habe aufgeatmet.

Hat sich das Gefühl bestätigt?

Man muss sehen.

Wolltest du schon einmal weg von hier?

Seit neunzig versuche ich, dieses Land zu verlassen. Aber wenn ich gehe, dann zieht es mich wieder zurück, weil andere Orte mir nicht das Gleiche bieten.

Warum?

Es gibt es hier viel mehr Möglichkeiten, etwas zu machen. Ich denke, wenn ich von Berlin gehe, von Kreuzberg, dann vermisse ich es. Und wenn ich hier bin, will ich gehen. Das ist Schicksal. Die Leute hier fragen immer: Willst du zurück nach Pakistan gehen? Ich finde, die Gesellschaft hier sollte sich Gedanken machen. Die Leute, die hier leben, haben keine Heimat mehr. Ich bin weder Pakistani noch Deutscher. Deutscher kann ich nie werden. In Pakistan habe ich auch nichts mehr. Jetzt habe ich zwei Kinder, die hier geboren sind. Deutsch ist meine fünfte Sprache.

Du kennst zwei Kulturen und kannst vergleichen, und du kannst dich aus beiden bedienen . . .

Das mache ich auch. Wahlweise. Mein Verhältnis zu Frauen ist eher europäisch. Mein Verhältnis zur Familie pakistanisch: Ich bin sehr fürsorglich gegenüber meinen Kindern. Ich arbeite hier 14 bis 16 Stunden, aber ich bin nie müde. Ich glaube, die Familie gibt mir die meiste Kraft. Meine zwei Töchter sind für mich alles.

Fragst du dich manchmal, was anders in deinem Leben hätte laufen können?

Oft frage ich mich, was ich anders machen würde, wenn ich die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehn und neu zu beginnen. Ich denke, ich würde nicht vieles anders machen. Hier kommen Leute her, die nicht einmal entscheiden können, was sie essen. Viele Leute hier sind unselbstständig. Wenn sie in meiner Lage wären, die könnten nicht mal zwei Tage überleben. Eins ist klar: Ich konnte nie starr sein, ich musste mich immer entwickeln.

Hast du Angst um deine Kinder?

Ich frage mich oft: Was wird aus ihnen? Sie haben einen fremdländischen Namen. Und deshalb sind die Kinder auch nicht den ganzen Tag in Lichtenberg, sondern sie spielen hier auf dem Platz in Kreuzberg und sehen Menschen aller Hautfarben. Sie sollen offen aufwachsen.

„Wenn in Lichtenberg die Glatzen brüllen, hätte man in Pakistan einen Fluchtpunkt“

Lebensläufe wie deiner, kein Ort, nirgends, werden immer häufiger. Was heißt das für deine Kinder?

Ich versuche jetzt schon, sie mehrsprachig zu erziehen. Ich spreche mit ihnen Urdo. Sie sollen später auf eine Europaschule gehen. Für mich wird es in Zukunft ohnehin keine ortsgebundenen Jobs mehr geben.

Erziehst du deine Kinder nach dem Islam?

Nein. Das sollen sie später selber entscheiden.

Wo hast du deine deutsche Lebensgefährtin kennengelernt

Hier in Berlin. Wir haben in einer Pizzeria zusammengearbeitet. Sie hat Schwierigkeiten mit ihrer Familie, weil sie mit mir zusammen ist. Darüber möchte ich nicht weiter reden.

Hast du Freunde?

Kaum. Bekanntschaften, ja. Ich gehe ja auch kaum aus. Als ich vor einem halben Jahr in die „Eierschale“ in Treptow gehen wollte, wurde ich da nicht reingelassen.

Sollen deine Kinder die doppelte Staatsangehörigkeit haben?

Ja, das hat Vorteile für sie. Erstens haben sie Erbschaftsrecht, sie können in Pakistan Grund erwerben. Ich habe mich mit der deutschen Geschichte beschäftigt, und sollten in Lichtenberg oder Hohenschönhausen die Glatzen brüllen und die Rechten an die Macht kommen, dann hätte man einen Ort, an den man sich zurückziehen kann.