nebensachen vom kluchorpass
: Manchmal hilft selbst der Wodka nicht weiter

Kaukasische Sicherheiten

Mohammed erwähnt es eher beiläufig auf dem Weg hinauf zum Kluchorpass. Ein russischer Wanderer sei an dieser Stelle neulich 20 Meter in die Tiefe des Flusstals gestürzt und mit einem Beckenbruch davongekommen. Von wegen Dankbarkeit. „Lasst mich schlafen!“, fauchte der alkoholisierte Sturzengel bei seiner Rettung.

Mohammed ist Leiter der Bergwacht in Dombai. Er hilft aus mit Seil und Pickel aus sowjetischen Beständen. Damals war der Urlauber noch ein Erholungsuchender, buchstäblich, Gewerkschaften scheuchten ihn in Massenbegehungen die Hänge hinauf. Inzwischen ist es in den Sommermonaten in den Bergen Karatschai-Tscherkessiens ruhig geworden. Dem agilen Bergler eilt der Ruf voraus, durch Wände gehen zu können. Und Grenzen?

Grenzen kennt er angeblich nicht. Am Kluchorpass verläuft die Demarkationslinie zwischen der Russischen Föderation und der von Georgien abtrünnigen Republik Abchasien. Seit der Antike überquerten ganze Völker am Kluchor die Große Mauer des kaukasischen Gebirgszugs. Mit 2.800 Metern geht es hier nicht ganz so weit hinauf, ein mäßiger Läufer schafft es bis in die Subtropik Suchumis am Schwarzen Meer in knapp fünf Tagen.

Beim russischen Grenzposten hatte Mohammed einen Vertrauten, aber der hat sich das Bein gebrochen. Ein Leutnant Igor übernahm das Kommando. Doch der Neue kann sich mit dem Gedanken an einen sanktionierten halb legalen Grenzübertritt nicht anfreunden. Seit einem Monat schiebt er hinter behelfsmäßig aufgeschichteten Betonquadern Dienst. Tagsüber brennt die Sonne gnadenlos auf den Pelz, nachts kriecht die Kälte in jede Pore. Einige Flaschen Wodka als Mautgebühr dürften daher willkommen sein. Igor indes erstaunt durch übermenschliche Willenskraft. „Zwei Jahre noch bis zur Rente, das Risiko ist zu groß“, sagt er. Sein Überich triumphiert, die liquide Motivationshilfe versagt. „Unsere Aufklärer sind unterwegs“, sagt er. An der Grenze zum moskautreuen Abchasien?

Igor lädt stattdessen zu einem kleinen Spaziergang in die mannshoch bewachsenen Hangwiesen ein. Nach einer Viertelstunde zeigt der Leutnant auf einen riesigen Dieselgenerator. „Deutsch.“ Aus Wehrmachtsbeständen, die Edelweiß-Division hat ihn zurückgelassen. 1942/43 versuchte die Wehrmacht den Pass zu nehmen und in den zentralen Kaukasus vorzustoßen. Auch sie scheiterte, obwohl die Karatschaier den Nazis nicht gerade Widerstand leisteten.

Igor beugt sich über den „Diesel“ und zieht an den Ventilen wie an einem Orgelregister. „Wie am ersten Tag“, sagt er. Die chromblitzenden Ventile flutschen, als wären sie gestern erst geölt worden. Der Offizier verfällt ins Schwärmen. „Das ist Arbeit, was für eine Technik!“ In der Standardübersetzung bedeutet das: „Was haben wir zu bieten . . .?“

Igor wäre indes kein russischer Patriot, wenn ihn nicht ein anderer Gedanke wieder besänftigte. Der russischen Urkraft ist niemand gewachsen, und die verteidigt er im Kaukasus. Und so schickt er uns wegen der Passiererlaubnis zum Armeestab hinunter nach Teberda, dort verweist man auf die Kommandantur in der Hauptstadt Tscherkessk. Wer sich dieser Kraft der russischen Bürokratie aussetzt, landet unweigerlich unverrichteter Dinge vorfristig wieder in Moskau statt jenseits des Kluchorpasses in Abchasien. Und der Kaukasus bleibt verteidigt.

KLAUS-HELGE DONATH