Null Toleranz in Värmland

Engmaschige Überwachung, rigide Schikanen und offensive Aufklärung in einer kleinen Provinz

STOCKHOLM taz ■ Värmland, eine kleine Provinz im westlichen Mittelschweden, war in den Dreißigerjahren als „braunes Nest“ verschrieen. Heute gibt es ein Projekt „Värmland – nazifrei“. Es funktioniert.

1995 wird in dem värmländischen Ort Valberg eine libanesische Familie so lange von einer Skinheadgruppe schikaniert und bedroht, bis sie aus dem Ort flieht. Im selben Jahr locken zwei große Konzerte mit rassistischer Musik Neonazis aus halb Europa nach Värmland. Dem Polizeikommissar Greger Wahlgren reicht es jetzt. Der Mann hat Überzeugungskraft. Er versammelt VertreterInnen von Polizei, Justiz, Schulen, Gewerkschaften, Kirchen, Pfadfindern, Jugendklubs, Sportvereinen und Unternehmen an einem Tisch. Das „Kriminalitätsvorbeugende Zentrum“ wird gegründet. Wahlgren wird sein Chef.

Eine systematische Arbeit beginnt. „Unsere Gegner haben ein enges Netzwerk. Deshalb brauchen wir auch ein Netzwerk – möglichst ein noch besseres. Als Erstes“, erzählt Wahlgren, „haben wir eine Liste der Versammlungslokale in allen Gemeinden angefertigt. Nazis brauchen Lokale, in denen sie sich treffen können. Oft haben sie die Vermieter mit falschen Angaben hereingelegt. Das wollten wir ihnen versalzen.“ Die Methode entpuppt sich als ebenso einfach wie effektiv. Wollte eine nicht persönlich bekannte Person ein Lokal mieten, meldete sich der Eigentümer beim „Zentrum“, hörte die Polizei von einem Treffen in der braunen Szene, wurden alle auf der Lokalliste informiert. Wahlgren: „Wir ließen ihnen keine Ruhe. Wir waren ihnen immer auf den Fersen. Das mögen die gar nicht.“

Stufe zwei war eine intensive Aufklärungsarbeit an den Schulen – vom Rektor bis zumKüchenpersonal. „Es gab beim Start unserer Arbeit bestimmt eine ganze Reihe 15- oder 16-jähriger Schüler, die sich mit so viel an Informationen und Fakten versorgt hatten, dass ein Teil der Lehrer nicht mehr mithalten konnte“, sagt Wahlgren. „Wenn so einer dann sagt, ‚Ich bin Nazi‘, genügt es nicht, dass der Lehrer ihm auf die Schulter klopft und sagt: ‚Mein lieber Freund, das verstehst du noch nicht.‘ Dann kann der in aller Ruhe Nazi werden. Das können wir nur ändern, wenn wir über den Nazismus besser Bescheid wissen als die Nazis selbst.“

Wahlgren zeichnet drei Kreise auf: „In der Mitte der harte Kern, darum herum die Symphatisanten, der äußerste Kreis die Konsumenten von ‚White Power‘-Musik. An die müssen wir ran, wenn wir die Neurekrutierung stoppen wollen“, sagt er und trommelt mit der Kulispitze auf die beiden äußeren Kreise. Auf dem Programm der Seminare, Informationstage oder -abende, die auch für Eltern, Vereine und Jugendzentren stattfinden, steht Grundinformation über nazistische Symbole und ihre Bedeutung. Über Zahlen- und Buchstabenkombinationen, über Jahrestage wie den von Hitlers Geburtstag, seiner Machtübernahme, der Reichspogromnacht; über rassistische Musikgruppen und Plattenlabel. Wahlgren: „Von HH oder 88 hatten die meisten gehört, dass eine „14“ auf dem T-Shirt aber die Ideologie eines in der Szene geschätzten US-Neonazis meint, oder 64 hier zur Kultzahl wurde, seit einer der ihren den Eishockeyspieler Peter Karlsson mit 64 Messerstichen getötet hat, ist den meisten unbekannt.“

Keine Fassadenschmiererei und kein Fluggblatt mit Nazisymbol bleibt nun an den Schulen mehr aus Unwissenheit unbeachtet, kein Träger eines Neonazi-T-Shirts oder eines Buttons mit Sonnen-, Keltenkreuz oder SS-Rune erhält noch Eintritt in ein Jugendzentrum.

Null Toleranz soll auch in Familien gelten. An Eltern werden stetig aktualisierte Merkzettel verteilt, auf welche Symbole, Bilder, Bücher und CDs sie in den Zimmern ihrer Kinder ein Auge werfen sollten. Wahlgren: „Es gibt kein Rezept, wir müssen unsere Strategie immer überprüfen und neu anpassen. Nur eines ist zentral: Absolut nichts durchgehen lassen und immer in der Offensive sein.“ rw