Buxtehude wieder entdecken

■ Manfred Cordes und seine MusikerInnen zeigten, wie aufregend alte Musik sein kann. In der Reihe „Festmusik der Hansestädte“ erinnerten sie an Dietrich Buxtehude

Wer sich nicht einigermaßen regelmäßig Orgelkonzerte anhört, was sowieso nicht allzu viele KunstliebhaberInnen tun, der hat selten genug Gelegenheit, dem Werk Dietrich Buxtehudes (1637-1707) zu begegnen. Denn während in Orgelprogrammen seine geradezu explosiven, oft improvisiert wirkenden virtuosen Präludien nicht wegzudenken sind, so sind die Kantaten sehr viel seltener zu hören.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Jeder „falsche“ Interpretationston läuft Gefahr, diese Musik mit ihrer empfindlichen Gratwanderung zwischen struktureller Textdeklamation und Affekt zu zerstören. Uns befremden heute, neben überladenen Texten (und ähnlich zeitbedingten Eindeutschungen der Psalmensprache), die oft auf engstem Raum unvermittelt aufeinander prallenden barocken Kontraste. Dass aber der Kantatenkomponist hinter dem Orgelkomponisten in keiner Weise zurückstehen muss, wusste auch schon der junge Johann Sebastian Bach. Er pilgerte nämlich von Arnstadt zu Fuß nach Lübeck, um einen Monat bei dem Meister zu lernen. Er blieb mit guten Gründen vier Monate.

Im Rahmen des fünfteiligen Konzertzyklus des Ensembles „Weser-Renaissance“, das „Festmusik der Hansestädte“ vorstellt, waren nun im gut besuchten Rathaus Kantaten zu hören: von Dietrich Buxtehude und seinem Schwiegervater und Vorgänger an der St. Marien-Kirche in Lübeck, Franz Tunder (1611-1667). Tunder hatte dort die berühmten „Abend-Musicen“ gegründet, die eine qualitätsvolle Institution für Kenner außerhalb der Gottesdienste waren und auch noch von Buxtehude weitergeführt wurden. Der Musik ist anzuhören, dass die Lübecker Marienkirche mit Musikern und Sängern gut ausgestattet war und dass darüber hinaus durch das „Sponsoring“ der Kaufleute die Komponisten viele instrumentale Möglichkeiten hatten, wie zum Beispiel in der aufwändigen Hochzeitskantate „Schlagt Künstler die Pauken!“ zu hören war.

Die sorgfältigen Besetzungs- und damit Affektwechsel, die der nur vorsichtig Impulse gebende Manfred Cordes mit seinen blendenden MusikerInnen – hier darf an erster Stelle die finnische Geigerin Sirkka Liisa Kaakinen genannt werden – präsentierte, zogen vom ersten Moment an in Bann – man kann es kaum anders nennen. Verantwortlich für den Ausdrucksreichtum war die höchst sorgfältige klangmalerische Textausdeutung, die nicht selten an die Madrigalkunst von Claudio Monteverdi erinnert. Susanne Rydén und Heidrun Luchterhand (Sopran), Ralf Popken (Alt), Marel Beekham (Tenor) und Harry van der Kamp (Bass) sangen die Ensemblestücke in bester rhetorischer Manier.

Susanne Rydén gelang bewegend die liedhafte Begräbniskantate „Ach Herr, lass deine lieben Engelein“ von Franz Tunder, weniger tief der Psalm „An den Wasserflüssen Babylons“ ebenfalls von Tunder. Für die inhaltliche Tiefe wirkt ihre Stimme zu direkt und die „Schmerzen“ des Textes waren eher in den dissonanzgetränkten Instrumentalpartien zu hören. Brillant hingegen Harry van der Kamp, der einmal mehr seinen überragenden Ruf bestätigte: Es gibt zurzeit wohl kaum eine Bassstimme mit einem solchen Umfang und gleichzeitig einer solchen Flexibilität. Der Solopsalm „Da mihi, Domine“ von Tunder gelang im Sinne des Textaffektes einzigartig nuancenreich, ebenso wie die Zugabe „Ich bin die Auferstehung“ von Dietrich Buxtehude, in dem der barocke Widerstreit von Leben und Tod sich besonders expressiv durch den Kontrast von wilden Prestofiguren und düsteren Liegeklängen ausdrückt.

Das Konzert war ein Beispiel mehr, wie aufregend alte Musik sein kann, wenn sie in den richtigen Händen ist: Manfred Cordes konnte sich hinsichtlich Klangtransparenz, Flexibilität der Artikulation und gestischer Eindringlichkeit auf die Kunst seiner vitalen Truppe eminent verlassen.

Ute Schalz-Laurenze

Das nächste und letzte Konzert findet am 18. August um 20 Uhr in der Oberen Rathaushalle statt und bietet unter dem Titel „Mare Balticum“ Musik aus Stralsund, Stettin, Danzig und Königsberg.