herr hefele kriegt zwei minuten: ALBERT HEFELE surft zu Boris und Anna
Zehn Millionen? Ein Klacks
„Leer geschrieben.“ Ein rätselhaftes Wort für euch Leser, draußen im Lande. Ein schlimmes, ein Grauen erregendes Wort für uns Schreiber hier drinnen. „Leer geschrieben“ ist für den Schreiber ein ähnlich katastrophaler Zustand, wie es für den Pkw der „Kolbenfresser“, den Opernsänger die „Mandelentzündung“ oder für den Zehnkämpfer die Feststellung „Anfangshöhe dreimal gerissen“ ist. „Leer geschrieben“ heißt für den Schreiber: hohl und alle. Leerer Tank. Nichts mehr drin im Oberstübchen, das weiter nichts mehr ist, als eine kahle, traurig hallende Katakombe, in denen er, der Schreiber, nur dem eisigen Echo seiner zaghaft suchenden, den weiten Raum querenden Schritte lauschen kann ...
Die Zeit drängt. Der Redakteur quengelt am Telefon. Was tun? Woher kommt die rettende Idee? Scharf nachdenken. Zusammenreißen. Internet gucken. Boris Becker muss vor den Kadi. Das heißt, er muss nicht, wenn er zehn Millionen nachzahlt. Zehn Millionen? Lächerlich. Nicht der Rede wert. Das ist doch keine Meldung mehr, liebe Leute. Die Deutsche Bank hat im ersten Halbjahr nach Steuern über sieben Milliarden verdient. Was sind heutzutage zehn Millionen? Geht Ihnen das auch so? Diese einen ständig umschwirrenden, unglaublichen Beträge verschieben die eigene Wahrnehmung in einer Art und Weise, als würde man selbst ständig im Millionenbereich hantieren. Darum stutzt man auch mit Verzögerung, wenn der 21-jährige Tennisspieler Daniel Elsner in einem Interview zur Frage, was er mit den rund 50.000 Dollar für das Erreichen des Halbfinales im Stuttgarter Weisenhof machen würde, antwortet, darauf käme es ihm nicht an. Hauptsache gut gespielt. Aber es sei schon schön, wenn man ein bisschen Geld mitnehmen könne. Bisschen Geld? Sind 100.000 Mark für einen 21-Jährigen ein bisschen Geld? Na Mahlzeit. Dann sind zehn Millionen für einen ausgewachsenen Star wie Boris Becker natürlich ein Klacks! Schlimmer: Zehn Millionen sind für uns alle ein Klacks! Dabei kommt unsereins – mit unsereins meine ich mich – nie in seinem gesamten Leben in die Nähe eines Verdienstes von zehn Millionen D-Mark!
Trotzdem klickt und surft man angesichts solcher Summen sofort gähnend weiter und findet dies und das. Zum Beispiel die Website von Anna Kournikova. Die ist immer für einen kleinen Skandal gut: suchen! Der Schirm wird grün und bleibt grün und ein Schildchen spricht: Server too busy.
„Komm, komm Mädchen, mal nicht so dick auftragen!“, möchte man ausrufen, und doch: Es könnte ja wahr sein. Vielleicht ist die Website von Anna Kournikova wirklich immer dicht belagert. Von allerlei Spannern und Kolumnenschreibern, denen nichts einfällt. Wenn dem nicht so ist, ist es zumindest eine gute Idee. Weil erstens kostet eine Seite, die nur lindgrün ist, nicht die Welt, und zweites signalisiert das „Server too busy“ gleichzeitig schweren Betrieb. Irgendwie würde eine solche Strategie zu den Kournikova’schen Umtrieben passen. Denn dumm sind sie und ihre Berater nicht. Wie es die seit Jahren schaffen, mit einer zwar ausdauernd schmollenden, sonst aber sehr durchschnittlich aussehenden jungen Frau die Femme-fatale-Schiene zu fahren – das bedarf des Instinktes und einer gerissenen Strategie (siehe zum Beispiel den angeblich ständig hinter ihr her hechelnden Eishockeyspieler Sergej Fedorov). Dann zeigt sie hin und wieder etwas Unterwäsche und haucht in Anwesenheit von Pressevertretern Zweideutigkeiten, und schon ist die Unfähigkeit der Sportlerin Anna Kournikova, ein großes Turnier zu gewinnen, vergessen.
Soll man ihr das vorwerfen? Beziehungsweise: Wen stört’s? In allen Bereichen unserer Gesellschaft wird Erfolg an der dabei fließenden Geldsumme gemessen. So gerechnet ist Anna die unangefochtene Nummer eins. Ein neuer Sponsorenvertrag mit – sagen wir – Adidas bringt unter Garantie mehr Kohle als die Siegprämien aller vier Grand-Slams zusammen.
Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut, schreibt über die fundamentalen Dinge des Lebens und ist manchmal „leer geschrieben“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen