Armut und Alphabetisierung

■ Keiner weniger: Niedliches Schülerdrama des Rote Laterne-Regisseurs Zhang Yimou

Die Trennung von seiner leading actress, der vielbewunderten Gong Li scheint Zhang Yimou nicht gut getan zu haben. Der „große volkschinesische Regisseur“ ist er nämlich mitnichten. Konnte der ehemalige Kameramann Chen Kaiges Ende der 80er-Jahre mit Exportschlagern wie Rotes Kornfeld, Jodou und Rote Laterne auf dem internationalen Arthouse-Geläuf Ruhm erwerben, ging es in den letzten Jahren – leider – nur noch abwärts. War Shanghai Triad schon ein unglaublich rührseliges Stückchen kommerziellen Gangster-Kitschs, das die Not des Regisseurs angesichts der Zensur aber wenigstens noch erahnen ließ, scheint er sich mit Keiner weniger nun gänzlich auf die Seite der Propaganda geschlagen zu haben.

Dass die nicht so recht funktionieren will, ist denn auch das Beste, was zu melden wäre.

Gelegentlich gelingen Zhang Yimou und seinen Laiendarstellern zwar ein paar sehenswerte, alltägliche Momente, die jenen realistischen Elementen zu verdanken sind, mit denen er hier so konsequent wie nie zuvor experimentiert. Aber auch das dürfte kaum jemanden wirklich vom Hocker reißen; in der Volksrepublik nennt man Zhang Yimou nicht zu Unrecht einen „Bauernfilmer“.

In einer abgelegenen Provinz unterrichtet der Dorfschullehrer Kinder verschiedensten Alters in nur einem Klassenzimmer. Die Schule ist arm, Kreide kostbar, und immer mehr Schüler verlassen den Unterricht, um arbeiten zu gehen. Als der Lehrer seine sterbende Mutter besuchen will, wird die 13-jährige Wei Minzhi als Aushilfe angeheuert. Die Kreide solle sie nicht verschwenden und darauf achten, dass am Ende des Schuljahrs „keiner weniger“ in der Klasse sitze, gibt ihr der Abreisende noch mit auf den Weg. Das ist nicht so einfach, schon mit der Autorität hat Wei Minzhi, die nur wenig älter als ihre Schützlinge ist, ihre liebe Not.

Als der süße Störenfried Zhan Huike in die Stadt durchbrennt, versucht Wei Minzhi mit seinen nicht minder süßen Mitschülern Geld aufzutreiben, um den Bengel zurückzuholen. Unter vielen Mühen gelingt es ihr. Tagelang irrt sie erfolglos durch eine als Moloch gezeichnete Großstadt. Sie findet den Jungen schließlich durch eine Suchmeldung des Fernsehens, das ihre Geschichte aufgreift und sie als Heldin der Alphabetisierung feiert. Selten war ein Happy End so pädagogisch wertvoll angelegt – ein Film allerdings, der frustrierte Jungpauker durch das Referendariat bringen könnte. Tobias Nagl

ab heute; Do - So, Di + Mi, jeweils 17.43 Uhr + 20 Uhr, Mo, 21 Uhr, Abaton