Utopie Tischfußball

■ Neu im Kino: Im slowenischen Film „Ekspress, Ekspress“ fahren ein Bub und ein Mädel miteinander Zug, und auf rätselhafte Weise amüsiert man sich dabei köstlich

Der Vorführer des Kino 46 ist skeptisch: Auf zwei der acht Filmrollen könne er beim besten Willen keine Untertitel finden; wahrscheinlich mal wieder eine versaute Kopie zugeschickt bekommen oder gar die Originalfassung auf Slowenisch. Doch die Kopie ist formidabel. Der Film übrigens auch. In alter Slapstickmanier entwickelt „Ekspress, Ekspress“ seinen eigentümlichen Humor stumm aus Gesten und Bildern: Eine Frau trocknet ihre Wäsche (natürlich Socken und natürlich schneeweiße Unterhosen) in einem Zugabteil; die Eifersucht zwischen zwei gehörlosen Männern manifestiert sich in Blicken und Gebärdensprache; ein Irrer möchte einen Zug kapern, indem er sich in Kamikazemanier ans Gleis anketten, usw, usf ...

Wie kahl ist doch demgegenüber der nackte Plot: Ein junger Mann teilt ein Zugabteil mit einer jungen Frau. Ihre Blicke fallen freundlich ineinander, womit auch in dieser Szene (fast) alle Worte überflüssig wären. Irgendwie ist von Anfang an klar, dass die beiden Reisenden im Laufe der Fahrt ein Paar werden. Zwar sind bis dahin ein paar Umstiegsmanöver notwenig, doch weder müssen sich die ProtagonistInnen über die einschlägigen Psychodramen und Familienkonflikte hindurchkämpfen, noch durch Mordkomplotte oder Mafiaverbrechen bewältigen. Aber wer um Gottes Willen kommt auf die Idee, aus so schwachbrüstigem Stoffmaterial einen Film zu drehen? Natürlich nur ein Filmemacher aus Osteuropa. Die können das nämlich: dem schnöden Alltag einen poetischen Überschuss abringen und durch viele kleine Schnörkel und Abschweifungen Atmosphäre herbeizaubern.

Ein solcher Running-Schnörkel ist zum Beispiel das Fußballspielen, und so findet man in dem Erstlingsfilm von Igor Sterk (Jahrgang '68) endlich die langersehnte Erklärung dafür, wie Slowenien die Qualifikation für die letzte Europameisterschaft erringen konnte: durch universale Fußballbesessenheit. Was tun die Stationswärter eines gottverlassenen Bahnhofs statt Däumchendrehen? Sie spielen Tischfußball und lassen sich dabei auch von den aufdringlichsten Kunden nicht aus ihrem (scheinbar noch immer) staatssozialistischen Rhythmus bringen. Immerhin drei verschiedene Spielvarianten zeigt der Film. Und was tun dieselben Beamten, wenn eine Wegstrecke durch quer liegende Bäume versperrt ist? Sie legen die Uniform ab und kicken in Unterwäsche. So zeigt der Film eine Gesellschaft, die es versteht, mit dem Leerlauf und den Zwischenfällen in der Alltags- und Arbeitswelt umzugehen, und sogar ihren Spaß dabei hat. Und genau diese Antithese zum westlichen Perfektionismus und Service-Denken birgt für Wessis einen Schuss Utopie.

Auch der Filmemacher selbst musste sich dreinfinden in eine Unvollkommenheit, auch er nicht zu seinem Schaden. Das Filmmaterial, mit dem er arbeitet, ist beschissen. Doch dessen Orange- und Roststichigkeit passt bestens zu der nostalgischen Kohlen-Dampf-Maschinen-Ästhetik dieses Roadmovies. Und die wunderschönen Hügelketten mit Weinbergen, Aquädukten, Tunnels, einer mittelalterlichen Burg und gammeligen Gleisanlagen fangen an, unwirklich zu glühen.

Und wie fast immer bei hochkarätigen osteuropäischen Filmen fasziniert vor allem die Intensität, mit der die simpelsten Dinge aufgeladen werden: Ein mickriges Puppenspiel zieht hinein in eine großartige Märchenwelt; der Gang eines Zugabteils mutiert durch den Wechsel des Lichteinfalls zu einer magischen Traumwelt; und ein winziger Dorfbrunnen plätschert eindringlicher vor sich hin als die superteuren Springfluten in Petersens „Der Sturm“. bk

Kino 46, bis 15.8. täglich 20 Uhr