Flächendeckend Chormusik

■ Bremer Labels, Teil 5: „UtopTon“ ist ein auf Gesänge spezialisierter Einmannbetrieb. Trotzdem hat Martin Lugenbiehl schon 2.000 KundInnen. An sie verkauft er (fast) alles, was Menschen in den Mund nehmen können

Martin Lugenbiehl hat wohl das größte Angebot an Chormusiken weit und breit. Zwei- bis dreitausend Noten für Chorsätze kann man bei ihm bestellen, dazu eine Unmenge von CDs mit Chören oder A-cappella-Gesängen. Wenn etwas irgendwo gesungen wurde, wird er es entweder auf Lager haben oder für Sie finden! Unter einem Dach im Viertel steht sein Computer nur eine paar Schritte von seinem Bett entfernt: „UtopTon“ ist ein Einmannbetrieb wie aus dem Bilderbuch! Dass er seinen Laden „Produktion & Versand“ nennt, ist vielleicht ein wenig verwegen, denn wirklich produziert hat er bisher nur eine CD: die „Lieder zur internationalen Solidarität“ des Bremer Chors „Die Zeitgenossen“. Aber die holländische A-cappella-Gruppe „Montezuma's Revenge“ vertreibt immerhin ihre neue CD „exklusiv bei UtopTon“, da geht das „Produktion“ wohl gerade noch so durch.

Lugenbiehl selber spricht übrigens, wenn es um seine CDs geht, meist von „Hörbeispielen“, und daran merkt man sehr schnell, was ihm bei seinem Betrieb wirklich wichtig ist. Er ist nämlich ein typisches Beispiel dafür, wie jemand auf ein Problem stößt, es löst, dabei eine kommerzielle Nische entdeckt und dann daraus ein Geschäft macht! Lugenbiehl ist selber Chorleiter bei zwei Bremer Chören (dem alternativen Buchtstraßenchor und einem Shantygesangsverein) und entwickelte eine gewisse Geschicklichkeit darin, für diese Noten zu finden.

Dieses Problem hat wohl jeder Chorleiter, und wenn man bedenkt, dass jedes Dorf in Deutschland mindestens einen Gesangsverein hat, wird klar, wie riesig der potentielle Kundenkreis eines Chornotenversands ist. Lugenbiehl, der auch Betriebswirtschaft studiert hatte, machte 1996 seinen kleinen Betrieb auf, konzentrierte sich klugerweise auf den Vertrieb im Internet (www.utopton.de) und hat inzwischen etwa 2.000 KundInnen, die bei ihm Chorsätze, Hörbeispiele, „Softwareprogramme für MusikerInnen“, CD-Roms, eine „Chormusik Datenbank“ und so weiter bestellen.

Sein Angebot an Chorsätzen nennt er „flächendeckend“. Man kann also so ziemlich jede Note für gesungene Musik, die auf dem Markt ist, über ihn beziehen. Rechtsradikale Chormusik gibt es zum Glück (noch?) nicht, denn diese würde Lugenbiel wohl in arge Gewissensnöte stürzen. Schon bei Wagnermusik hat er seine Bedenken, und einige Textstellen in einer Sammlung von Volksliedern der Russlanddeutschen sind für ihn schon „ziemlich haarig“.

Aber die Spannbreite bei Chorgesängen reicht halt von Madrigalen bis zu „Hoch auf dem gelben Wagen“, von jiddischen Volksliedern bis zu Chorsätzen von „The Best of Abba“. Bei der Auswahl der CDs, die Lugenbiehl in seinen gedruckten Infos anbietet, merkt man aber dann doch, wo seine Vorlieben sind. Da stehen die A-cappella-CDs von „Women in (E)motion“ gleich neben den „Bobs“ aus Kalifornien, da ist das „Hilliard Ensemble“ nicht weit entfenrt von den Gesängen von Hans Eisler und auf die „Lieder der cubanischen Revolution“ folgt „Ladysmith Black Mambazo“.

Lugenbiehl und sein Betrieb wirken angenehm bescheiden, grundsolide und alles andere als marktschreierisch. Reich wird der typische Viertelbewohner mit seiner Firma wohl so schnell nicht werden, vor allem wenn man hört, dass seine weiteren Pläne darin bestehen, die Noten von weithin unbekannten KomponistInnen wie Ruth Zechlin, Violetta Dinescu oder Hector Angulo selbst zu verlegen: eher anspruchsvolle Chormusik. Der bekannteste deutsche Chorchef Gotthilf Fischer würde sie ganz bestimmt nicht in seinen Massensängereien einstudieren.

Wilfried Hippen