Pfusch an sensiblen DNA-Gutachten

■ DNA-Analyse gilt in der Rechtsmedizin als starkes Beweismittel / Jetzt wurden erste Pannen bekannt / Das Rechtsmedizinische Institut ringt um seinen Ruf

„DNA-Analysen sind 100 Prozent sicher“, heißt es bei der Bremer Kripo. Die Ermittler müssten es besser wissen. Denn dort, ebenso wie bei den Gerichten und der Bremer Staatsanwaltschaft, ist man über einen echten Bremer DNA-Flop einigermaßen aufgebracht. Der Vorfall, bei dem der Staatsanwaltschaft zwei Verfahren fast unter den Händen weggeschmolzen wären, liegt zwar Monate zurück. Aber ein drittes läuft noch.

Zum Eklat war es gekommen, nachdem das Rechtsmedizinische Institut bei der Staatsanwaltschaft DNA-Untersuchungsergebnisse abgeliefert hatte, die der Staatsanwältin so ungewöhnlich erschienen, dass sie deren Überprüfung veranlasste. Der Zweitgutachter des BKA bewertete die Befunde über Spuren an Beweisstücken nach einer Vergewaltigung als „derart widersprüchlich, dass sie in der vorgelegten Form als Sachbeweis nicht verwendbar sind“. Und in einem weiteren Fall stellte er gar fest, dass die vermeintlichen Beweisstücke alle möglichen DNA-Spuren aufwiesen – nur keine von den Personen, denen sie abgenommen worden waren. Der bundesweit anerkannte BKA-Gutachter urteilte, „dass die jeweiligen Proben nicht von den Personen stammen, bei denen sie gesichert wurden“. Nur weil ein Angeklagter schon gestanden hatte, platzte der Prozess nicht.

Weniger glimpflich gingen die Vorfälle für den Gutachter des Rechtsmedizinischen Instituts, Dr. Dr. Jürgen Holtz, aus. Der wehrt sich zwar: „Die vom BKA bemängelte Stringenz und Plausibilität der Ergebnisse geht von einer idealtypischen Konstruktion von Spuren aus.“ Er halte es „für nicht verwunderlich, dass in den Asservaten Merkmale auftauchen, die weder der Geschädigten noch dem Tatverdächtigen zugeordnet werden können.“ Dennoch verdonnerte der Leiter des städtischen Eigenbetriebs, Dr. Michael Birkholz, seinen Gutachter bis auf weiteres zur Leichenschau. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft angekündigt, dem Institut, dessen Abteilung für DNA-Analysen noch keine zwei Jahre gearbeitet hatte, das Vertrauen zu entziehen.

Seit Monatsbeginn hat das Rechtsmedizinische Institut in Bremen die Stelle im DNA-Labor nach längerer Vakanz wieder besetzt. Der Chef des Instituts spricht von „Neuanfang“. Auch er selbst hat Konsequenzen gezogen: DNA-Befunde unterzeichnet er nicht mehr. Die von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Gutachten hatte er noch persönlich als „Chefarzt“ abgezeichnet, ebenso wie ein Molekularbiologe des Instituts.

Der anfänglich zur Leichenschau abgestellte Rechtsmediziner Holtz hat unterdessen das Institut verlassen und wirbt als Freiberufler für ein eigenes „Institut für Molekulargenetik und Vaterschaftsdiag-nostik“ (imov). Er hofft auf Aufträge von Familiengerichten oder Privatleuten, die ihre Verwandtschaft mit Kindern überprüfen wollen. Der vom Gesundheitssenator als Blutgruppensachverständiger anerkannte 52-Jährige ist da ganz selbstbewusst. Die Probleme um die von ihm gelieferten DNA-Analysen sieht er als „Hintenrum-Aktion“ gegen seine Person gerichtet. Denn immerhin hätten von ihm gelieferte Befunde Verdächtige zu Geständnissen veranlasst. Als Freiberufler will er künftig mit einem privaten Labor zusammenarbeiten.

Fachleute reagieren auf die bundesweit bekannten Bremer Flops unterdessen zurückhaltend. Hintergrund ist „die aktuelle Entwicklung auf dem Markt“, wie es heißt. Statt der früher amtlichen Stellen offerieren immer mehr private Labors die Dienstleistung – zu günstigeren Preisen. „Abstammungsgutachten per DNA anzubieten ist eine private Geschäftsentscheidung“, sagt Dr. Christiane Lauk, Geschäftsführerin eines großen Labors in Baden-Württemberg. Sie selbst wurde als Sachverständige für DNA-Abstammungsbegutachtung noch geprüft. Im Ländle verzichtet die Jus-tizbehörde mittlerweile darauf, Gutachter für eine offizielle Empfehlungsliste weiterhin zu akkreditieren. Auch der Münsteraner Rechtsmediziner-„Papst“, Professor Bernhard Brinkmann, sieht „mit Sorge, dass Qualitätssicherung bislang nur auf freiwilliger Basis erfolgt“. 80 europäische Labors – darunter auch das Bremer Rechtsmedizinische Institut – beteiligen sich daran.

Abhilfe wird da auch die Richtlinie zur Abstammungsbegutachtung kaum schaffen, die derzeit bei der Bundesärztekammer erarbeitet wird. Zwar wird sie das Erstellen so genannter „Abstammungsgutachten“ neu regeln. Sah die bisher die Blutanalysen als bevorzugtes Verfahren für Vaterschaftsgutachten vor, wird sie angesichts der rasanten Entwicklung künftig auch DNA-Gutachten berücksichtigen, sagt der Kommissionsvorsitzende Professor Karl-Friedrich Sewing. Das ist schnell – und mit rund 1.800 Mark pro Vater-Mutter-Kind-Probe vor allem vergleichsweise güns-tig. Doch wenn die Bundesärztekammer in gut einem Jahr die Richtlinie vorlegt, wird sie zu Gutachtern kaum mehr als kräftige Empfehlungen abgeben können – zumal für berufsfremde Gruppen wie Chemiker oder Mikrobiologen. Abstammungsgutachten sollen dem ersten Entwurf zufolge Personen anfertigen können, die über einen speziellen fachlichen Abschluss verfügen oder entsprechende Erfahrung nachweisen.

Auch die Bremer Gesundheitsbehörde sieht keinen Anlass für staatliche Reglementierung. DNA-Analysen gefährdeten schließlich nicht die menschliche Gesundheit, heißt es. Und im Justizressort pocht man auf „die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung. Die gilt auch für die Vergabe von Gutachten.“

Bremer Familienrichter machen sich unterdessen fit für ihre freie Entscheidung im Dschungel der Angebote – die als Werbezettel stetig eintreffen. Demnächst werden sie das Bremer Institut für Rechtsmedizin besuchen – und sich dort wohl auch über die Tücken hochsensibler Analysemethoden informieren. ede