Ein Heiligtum im Tiergarten

Ein 30-Tonnen-Monolith, der wie ein schlafender Wal auf einer Lichtung im Tiergarten liegt, soll Teil eines Kunstprojekts für den Frieden sein. Doch venezolanische Indígenas schlagen Alarm: Sie wollen ihren Stein zurückhaben. Für sie ist der rote Fels heilig

Berlins neuester Stein des Anstoßes liegt friedlich wie ein schlafender Wal auf einer Lichtung mitten im Tiergarten. Kaum einer hat bisher Notiz von dem 30-Tonnen-Koloss aus Venezuela genommen. Doch in seiner Heimat treibt der rote Fels-Monolith Indígenas zu wütenden Protesten – bis vor die deutsche Botschaft in Caracas.

Denn für die Ureinwohner ist er ein Heiligtum – so göttlich, dass man ihn nicht einmal anfassen darf. In Berlin wird das Stück nicht so respektiert – man lehnt sich dagegen, ritzt Botschaften in die raue Außenhaut. Der indigene Zorn erstaunt die Verantwortlichen. Denn der Stein sollte doch nur eines sein: Kunst für den Frieden.

Die Idee zu der Aktion stammt von dem Weltumsegler und Künstler Wolfgang von Schwarzenfeld: Fünf Steine aus allen Kontinenten sollen hier versammelt werden, Schwestersteine auf den Erdteilen verbleiben. Doch seit anderthalb Jahren liegt der Stein aus Venezuela allein im Tiergarten, unweit des Goethe-Denkmals – vollmundig angekündigt worden war seine Aufstellung im Februar 1999 von den Hauptstadt-Vermarktern „Partner für Berlin“. Das „Neue Berlin“ sei der beste Ort für das Friedensprojekt. Dass die Aktion Ärger bringt, damit hat man bei „Partner für Berlin“ nicht gerechnet. Der Künstler habe schließlich Genehmigungen und Gutachten vorgelegt. Bisher hat sich bei der Agentur auch noch niemand beschwert. Doch „wenn der Stein ein Heiligtum ist, dann ist er hier bestimmt am falschen Platz“, meint Sprecher Carsten Schulte.

Auch im Bezirk Tiergarten ist man erstaunt. Schließlich war bei der Aufstellung des Brockens gar ein Vertreter der venezolanischen Botschaft anwesend. Da könne man doch wohl davon ausgehen, dass alles in Ordnung sei.

Doch in den Augen der Indios ist nichts in Ordnung. Der heilige Jaspis aus dem Nationalpark Canaima sei gegen ihren Willen von dort abtransportiert worden, sagen sie. Das Fehlen des göttlichen Felsens, der Einfluss auf das Wetter nimmt, sei gar Grund für die Überschwemmungen Ende 1998, berichtet die Zeitung „El Nacional“ über die Argumente der Indios. Auch Umweltschützer protestieren.

In der deutschen Botschaft in Caracas kennt man den Stein-Streit nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit zwei Jahren. Vor Monaten habe auch der Botschafter Demonstranten empfangen. Es gebe eine Vereinbarung zwischen venezolanischen Behörden und der Botschaft über die Ausfuhr des Kolosses, sagt ein Sprecher. Wenn diese nun von den Indios angezweifelt werde, handele es sich um ein innervenezolanisches Problem.

Der Streit entstand – so sagt Initiator Schwarzenfeld – eigentlich eher nebenbei: Zur Zeit des Transports nach Berlin hätten die Indios ohnehin gegen eine Überlandleitung protestiert und auch den Tieflader mit dem Fels kurzerhand blockiert. „Dabei habe ich den Stein doch mit den Indianern zusammen ausgesucht.“ Sein Fels sei kein heiliger Jaspis, sondern schlicht roter Sandstein – kein göttliches Stück also. Das habe er gar mit wissenschaftlichen Gutachten nachgewiesen.

„Und das wissen die, zumindest die Funktionäre der Indios. Protestiert wird, weil sie Geld brauchen.“ Mit solchen Protesten, sagt der Künstler, habe er durchaus gerechnet. „Aber das ist Teil meiner Aktion, so kann ich auf die Probleme der Völker aufmerksam machen.“ Der nächste Stein für die Sammlung im Tiergarten soll aus Australien kommen und im Oktober in Berlin sein. Schwarzenfeld: „Und bestimmt protestieren die Aborigines auch.“ KATJA BAUER/DPA