der gemeine jazzmusiker von JOACHIM SCHULZ
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Was Sie schon immer über Jazzmusiker wissen wollten – jetzt werden Sie’s endlich erfahren. Ich zähle zwei Vertreter dieser geheimnisumwobenen Spezies zu meinem Freundeskreis und darf mir mithin Verallgemeinerungen erlauben. „Kein Mineralwasser, kein Tageslicht, keine frische Luft!“, lautet ihre Maxime, sodass man durchaus geneigt sein könnte, eine Verwandtschaft zwischen den Jazzern und der Familie der Vampire, Menschensauger und Lykanthropen anzunehmen. Doch keine Vermutung ginge mehr in die Irre! Zwar haben die Jazzer ein sehr ausgeprägtes Faible für Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil an tierischem Eiweiß; indessen pflegen sie ihren erstaunlichen Appetit nicht mit menschlichem Blut, sondern ausschließlich mit überdimensionalen Schnitzeln, Steaks und Bratenstücken zu stillen, und eben aus diesem Grund müssen auch die aparten weiblichen Mitgeschöpfe, deren Nähe sie gern und häufig suchen, mitnichten befürchten, dass ihnen die Tonkünstler zwei unerfreuliche Löcher in den Schwanenhals bohren.

Darüber hinaus wäre es dem Jazzmusiker viel zu anstrengend, als Fledermaus kilometerweit durch die Nachtluft zu flattern. Er ist ein erklärter Gegner jedweder sportlicher Übung. Es ist ihm ein unerforschliches Rätsel, dass 22 erwachsene Männer 90 Minuten lang hinter einem Ball herrennen, statt in der nächsten Gastwirtschaft ein paar Liter Bier zu vertilgen, und unumstößlich ist sein Glaube daran, dass jeder Schweißausbruch, der von übermäßiger Bewegung hervorgerufen wird, die Lebenszeit um mindestens fünf Minuten verkürzt.

Anders als die notorisch missvergnügten Angehörigen von Graf Draculas Sippschaft ist der Jazzmusiker überdies immerzu bestens gelaunt. Er ist nicht gewillt, sich von den verdrießlichen Begleitumständen des Lebens umwerfen zu lassen, und wenn unsereins von einer plötzlich einsetzenden Traurigkeit mal wieder platt gedrückt zu werden droht, ist nichts so hilfreich wie eine formlose Zusammenkunft mit einem Musiker. Ruckzuck ist der Trübsinn wie weggeblasen, denn Jazzer sind ein Antidepressivum der wundertätigsten Sorte, das obendrein keinerlei Nebenwirkungen besitzt – wenn man mal von dem schlimmen Kater absieht, der zwangsläufig am nächsten Morgen folgt.

Am eindrucksvollsten aber vergegenständlicht sich diese Sonnigkeit des Gemüts in den musikalischen Darbietungen, mit denen uns unsere Freunde auch im kleinen privaten Kreis gern erfreuen. Wenn sie den Satchmo-Klassiker „What a wonderful world“ intonieren, dann könnte man davonflattern vor lauter Seligkeit. Auch war selbst ich, der ich als Tanzverweigerer über die Grenzen unserer Region berühmt und berüchtigt bin, von ihrer Kunst schon mehrfach dermaßen hingerissen, dass ich mir wider alle Grundsätze die Liebste griff und bis an den Rand des Atemstillstands mit ihr über den Teppich schwofte. Vor allem aber haben mich diese Spontankonzerte eines gelehrt. Nämlich, wie Recht Herr Friedrich Nietzsche hatte, als er weiland erklärte: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“