Es gibt Risotto, Baby!

Am 709. Geburtstag der Schweiz kann selbst der Berliner einiges von ihr lernen

Die ganzseitige Anzeige in der Zeitung ist nicht zu übersehen. Auf rotem Grund steht da ein neckischer weißer Text, der in Form eines Kreuzes gesetzt ist: „Ein ganz bestimmtes europäisches Land feiert am 1. August seinen 709. Geburtstag. Die Frage ist, welches. Wer die, zugegebenerweise, schwierige Antwort wissen will, kommt morgen von 12 bis 14 Uhr zum Haus der Schweiz, Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden. Dort servieren Ihnen echte Schweizer Tessiner Risotto, Sie werden von einer Schweizer Liveband unterhalten und Sie haben die Möglichkeit, an einer Tombola teilzunehmen, bei der es eine Woche Schweiz-Urlaub im Tessin (...) zu gewinnen gibt. Und falls Sie immer noch nicht wissen, welches Land gemeint ist: Unter www.schweiz.de/geburtstag verraten wir Ihnen die Antwort.“ Als wohlerzogener Neuberliner denke ich zwar: Verarschen kann ick mir ooch alleene. Dann gehe ich aber doch hin, denn wer weiß, was man auf einem Schweiz-Geburtstag alles lernen kann.

Die Anzeige hat nicht gelogen. Vor dem „Haus der Schweiz“ ist alles da – Risotto, eine Band und eine Tombola. Das Risotto allerdings ist eine gelbe schleimige Pampe, die sich im Mund anfühlt, als habe sie das Heidi dem Alm-Öhi schon mal vorgekaut. Und schmeckt auch so. Den Berlinern und etlichen Touristen aber macht das rein gar nichts, schließlich ist eine Kelle Schleim für jeden gratis. Aufgetakelte Scharteken, Jugendliche in Baggy-Pants, Geschäftsleute in Anzügen stehen zunächst Schlange und reißen dann den Köchen die Plastikteller mit dem Risotto aus den Händen. Solche Szenen sah man bisher nur bei Armenspeisungen in südamerikanischen Favelas. Ich lerne: Die Schweizer können entweder nicht kochen oder demütigen ihr Nachbarvolk ganz besonders gern.

Die Band kommt aus dem Tessin. Und wäre auch besser dort geblieben. Dann könnten einen die Alpen schützen vor den schlimmen Sachen, die sie spielen. Die Alpen müssten es schon sein, für das ganze Repertoire von „KC and The Sunshine Band“ rauf und runter. „That’s the way, aha, aha, I like it“, stöhnt der dicke Leadsänger, eine Art junger Joe Risotto-Cocker, wieder und wieder. Und ich lerne: Schweizer verstehen musikalisch nur was vom Alphorn tuten, oder sie beschwören auf diese Weise den Teufel bzw. Schlimmeres.

Wohl Schlimmeres. Denn während Joe Risotto tutet, sehe ich, wie eine Frau sich zur Bühne drängt. Sie hat ziemlich blonde Haare und mitten im schon leicht angelebten Gesicht knallrot geschminkte Lippen, trägt eine schweizerrote Jacke und eine weiße Hose, die ein wenig spannt. Über ihrer rechten Schulter hängt eine scheußliche Tasche vom Kaufhofwühltisch an einer dicken Kette aus falschem Gold und um ihre Bauch ein Kettchen, an dem zwei goldene Plastiktaler baumeln. Die Frau scheint besessen, sie singt als einzige die Songs des Herrn Risotto mit und wedelt dazu mit einem Schweizer Fähnchen. Wer ist das Nachtmahr? Eine Rösti-Braterin vom Ballermann? Die Inkarnation von Zürcher Geschnetzeltem als Blondine? Keineswegs. Es ist, wie eine Moderatorin auf der Bühne verrät, die „sexy Ehefrau“ (Bild) des Schweizer Botschafters in Berlin, „der strahlende Mittelpunkt auf dem diplomatischen Parkett“ (Bild), Shawne Borer-Fielding. Miss Dallas 1993 und Miss Texas 1994. Ich lerne: Das Kettchengold und die zwei Taler waren echt. Und: Bild darf man kein Wort glauben. Das wusste ich aber schon vorher.

Fehlt noch die Tombola. Zur Preisverleihung klettert Frau Borer-Fielding auf die Bühne, wo sie die Gewinnnummern aus einer bunt bemalten Milchkanne zieht. Als dritten Preis gibt’s „zwei wunderschöne Schweiz-T-Shirts“, und als zweiten, weil’s so wunderschön ist, das Gleiche noch mal. Dann kommt der erste Preis: Jawohl, wie versprochen, „eine Woche Tessin im Hotel du Lac, Lugano. Im Paradies also.“ Aber: „Oh, ich sehe gerade, man hätte schon gestern anreisen müssen.“ Macht nichts, die Nummer wird trotzdem gezogen. Und ich darf lernen: Verarschen, das können einen die Schweizer richtig gut. Sehr viel bessa jedenfalls, als ick mir janz alleene.

PS: Nicht alle Berliner ließen sich die Geburtstagsfeier der Schweiz einfach so gefallen. Einer zumindest rächte sich am Infotisch des Tessiner Tourismusbüros mit zwei subtilen Fragen. „Wie viel Einwohner hat denn Lugano?“ Und nachdem er eine Antwort erhalten hatte: „Und Locarno?“ CHRISTIAN Y. SCHMIDT

Hinweis:Die Schweizer können entweder nicht kochen oder demütigen ihr Nachbarvolk ganz besonders gern