„Es sind ebenbritische Hühner“

Der Freiheitskampf findet in Yorkshire statt: Nick Park und Peter Lord über „Chicken Run“, englische Plastilinfiguren und das viele Geld aus Amerika

Interview KONRAD LISCHKA

 taz: Wegen der aufwendigen Plastilin-Animation konnten Sie mit Ihrem 200-köpfigen Team pro Drehtag höchstens zehn Filmsekunden fertig stellen. Sind Sie Masochisten?

Nick Park: Im Gegenteil. Plastilin ist das perfekte Material für frustrierte Filmemacher: Man kann unglaublich präzise damit arbeiten, jede Gesichtsbewegung ausarbeiten, jede Sekunde ins kleinste Detail bestimmen. Pro Filmsekunde werden von jeder Figur 24 Posen gefilmt, und daraus entsteht dann die Bewegung.

Wie entwickeln Sie aus der Knetmasse dann die einzelnen Charaktere? Im Fall von „Chicken Run“ sind das ja mindestens zehn verschiedene Hühner-Psychogramme . . .

Peter Lord: Die Animateure sind unsere Schauspieler. Sie sollen natürlich auch einen Teil ihrer Persönlichkeit in die Figuren bringen. Man unterhält sich über eine Szene und spielt dann ganz genau die Reaktionen der Figuren durch, um ein Gefühl für den Ausdruck zu bekommen.

Das würde doch wahrscheinlich wesentlich einfacher mit Computer-Animationen gehen. Warum also Plastilin?

Park: Am Computer ist das Arbeiten viel kopflastiger. Da haben die Animateure meistens nur das erste und das letzte Bild einer Szene vorgegeben und arbeiten dann in kleinen Schritten den Zwischenraum aus. So bleibt also nicht viel Platz für Spontaneität. Bei Plastilin kann man dagegen am Set eine neue Idee gleich umsetzen. Die Arbeit ist also genauso live und lebendig wie bei einem Realfilm: Wenn zum Beispiel in einer Szene eine Bewegung zwischen zwei Bildern zu extrem ist, wirkt es nicht flüssig und man fängt von vorne an. Feuer und Wasser sind in „Chicken Run“ das Einzige, was wir am Computer erzeugt haben.

„Chicken Run“ betont den Kulturkampf zwischen einem amerikanischen Hahn und den britischen Hühnern. Ist das auch eine Anspielung auf eventuelle Reibereien mit dem US-Studio Dreamworks von Steven Spielberg, das den Film koproduzierte?

Lord: Ohne das Geld von Dreamworks hätten wir „Chicken Run“ einfach nicht machen können. Da geht es uns wie den Hühnern, die auf ihrem isolierten Fleckchen in Yorkshire das Größte vollbringen wollen, was Hühner je gemacht haben. Dann kommt der Hahn aus Amerika und rettet sie. Aber schaut man genauer hin, macht er ja erst mal nicht viel außer laut zu sein. Es sind eben die britischen Hühner, die das Außergewöhnliche leisten.

Bei „Chicken Run“ hatte Dreamworks aber offensichtlich doch ein bisschen mehr mitzureden als der Hahn bei der Hühnerrettung. Die Story ist viel glatter als bei den „Wallace & Gromit“-Filmen. Vor allem das Ende im verheißenen Land ist doch typische US-Mainstream-Filmkultur.

Park: Dreamworks stieß aber offiziell erst 1999 zu unserer Produktion, als wir den Film bereits drehten. Aber Sie liegen gar nicht so falsch. In der Tat hatten wir einige Kulturkämpfe mit unserem Drehbuchautor Karey Kirkpatrick auszufechten. Er ist Amerikaner und hat zum Beispiel „Liebling, wir haben uns selbst geschrumpft“ und „Bernhard und Bianca in Australien“ geschrieben. Das verheißene Land und Hühnerparadies am Ende war seine Idee. Peter und ich wollten erst, dass die Hühner in die Schweiz fliehen, wie die Gefangenen in „Gesprengte Ketten“. Das hätte aber wahrscheinlich für viele Zuschauer keinen Sinn ergeben. Wir haben dann unsere ironische Version des Paradieses durchgesetzt: Im Hintergrund spielen die Hühner Cricket und tragen auf Spießen erlegtes Gemüse aus dem Wald nach Hause.

„Chicken Run“ ist gespickt mit Zitaten aus der populären Filmgeschichte. Sie zitieren Filme von „Stalag 17“ über „Blues Brothers“ bis zu „Indiana Jones“. Das wirkt, als würden Sie sich über den Realfilm lustig machen. Für die Action, die Indiana Jones in einem Tempel des Todes erlebt, reicht Ihnen in der Plastilinwelt allerdings ein Backofen. . .

Lord: Natürlich machen wir uns lustig über Realfilme. Zum einen wollten wir all die Elemente der klassischen Gefangenenfilme wie „Gesprengte Ketten“: Hoffnung, Flucht, Abenteuer. Die Action soll genauso spannend sein. Wer aber die Zitate nicht mitbekommt und einen Familienfilm will, hat auch seinen Spaß. Zum Beispiel Nicks zwölfjährige Nichten. Das Ganze ist auch für sich genommen ironisch und absurd. Es sind immerhin Hühner, die da Fluchttunnel graben.

Sie verwenden sehr expressiv technische Mittel des Realfilms wie Schatten, Schärfenbereich, Perspektiven. Wollen Sie nicht einmal einen richtigen Film ohne Plastilin drehen?

Park: Wir machen doch richtige Filme . . .

Lord: . . .und der nächste wird eine animierte Version der Fabel von der Schildkröte und dem Hasen werden. Danach kommt eine neue „Wallace & Gromit“-Geschichte.