die stimme der kritik
: Betr.: Die neueste Entdeckung der US-Wissenschaft

Dumm gelaufen für die Besten

Was prägt uns – die Gesellschaft oder die Gene? Alte Frage, neueste Antwort: Die Gene sind’s. US-Wissenschaftler, wer sonst, haben herausgefunden, dass die Intelligenz des Menschen durch sein Erbgut bestimmt wird. Und schon freut sich der rechte Denker Charles Murray: „Die Wissenschaftsgemeinde hat das Offensichtliche verleugnet. Die Leute haben gesagt, dass der IQ durch die Umwelt bestimmt wird und dass wir ihn durch soziale Maßnahmen verändern könnten – das stimmt einfach nicht.“ Mit anderen Worten: Sparen wir uns doch einfach die Unsummen für die Ausbildung der Doofen. Perlen vor die Säue – die lernen eh nichts.

Wie haben die schlauen US-Forscher das nur herausgefunden? Ganz einfach: Sie untersuchten das Erbmaterial von zweihundert der schlauesten Kinder Nordamerikas und verglichen es mit der DNA der US-Durchschnittsbrut. Sie fanden Unterschiede.

Nur: Wer sind wohl die zweihundert schlauesten Kinder Nordamerikas? Und wie findet man sie? Sucht man sich solche, die unangepasst auftreten, weil sie schon früh die allgemeine Verarschung durch die Konsumgesellschaft erkennen und sich dieser verweigern? Sind es die verständigsten, engagiertesten, die mit warmem Herzen und schöngeistigen Interessen?

Schön wäre es. Wahrscheinlicher ist jedoch das herkömmliche Verfahren der IQ-Tests: Formen unterscheiden, ankreuzen, Zahlenreihen ordnen, ankreuzen, Wortkombinationen finden, ankreuzen, ankreuzen, ankreuzen. Und wer am besten und am schnellsten und am säuberlichsten seine Kreuzchen machen kann, ist am Ende der oder die Schlaueste, bekommt den Job und wird zum Referenzmodell für künftige Generationen geadelt.

Auf diese Weise bekommt man eine hübsche Auswahl von angepassten und gewinnmaximierenden Microsoft-Programmierern, Investment-Beratern und Start-up-Fritzen. Ob und was das mit Intelligenz zu tun hat, darüber lässt sich streiten. Bei der Gelegenheit sollte vielleicht mal jemand schlüssig erklären, was Intelligenz überhaupt ist.

Nehmen wir also mal an, Intelligenz sei das, was Kinder zu guten Schülern macht – schließlich geht es ja um Ausbildungskosten. Dass diese Schulintelligenz keinesfalls vererbbar ist, wird weder Charles Murray noch irgendein US-Wissenschaftler bestreiten können. Oder hätte jemals irgendjemand von einem einzigen Elternteil gehört, der auch nur einmal ein schlechtes Zeugnis bekommen hätte? Na also. STEFAN KUZMANY