Super nur in Regionalliga Ost

HALBZEIT FÜR DEUTSCHLAND (3): Die PDS hat bisher von den Fehlern der anderen Parteien profitiert. Um zu überleben, muss sie sich jetzt selbst neu definieren

Programmatischliegt nichts vor, wasdie Floskel vom„modernen Sozialismus“rechtfertigen könnte

Kaum hatte Kanzler Schröder der PDS zugesagt, sie in den Rentenkonsens einzubinden, schon sah der PDS-Bundesgeschäftsführer ein neues Verhältnis zur SPD – und die Chance, endlich in das reale Spiel einbezogen zu werden. (Ganz nebenbei entledigte sich die PDS dabei ihrer Forderung nach einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent.) Ein Teil der Fans in der linken Kurve dürfte jubeln, ein anderer protestieren und mit Liebesentzug drohen; Dritten ist das egal.

Die Annäherung der SPD war vorauszusehen. 1998 war der PDS der Einstieg in die Schweriner Koalition gelungen, und 1999 setzte sich der Aufschwung beeindruckend fort: Die Partei gewann sechs Mandate bei der Europawahl; und bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen hatte sie der SPD nicht nur den zweiten Platz, sondern auch das Markenzeichen „soziale Gerechtigkeit“ erfolgreich streitig gemacht. Selbst die CDU wollte plötzlich über ihr Verhältnis zur PDS neu nachdenken – und sei es nur aus Gründen der Machtarithmetik und um die SPD zu ärgern. Reale Chancen einer Zusammenarbeit bestehen jedoch nicht – auch wenn Norbert Blüm auf dem PDS-Ticket in der „Zukunftskommission Mecklenburg-Vorpommern“ Platz genommen hat. Bislang profitierte die PDS vom Verhalten ihrer politischen Wettbewerber: 1994 war das die „Rote Socken“-Kampagne der CDU, 1998 deren Absturz, nun ist es die taktische Akzeptanz durch Schröder. Mit des Kanzlers Offerte gerät die PDS allerdings in eine schwierige Entscheidungssituation. Sie muss ihre Haltung zur (Regierungs-) Macht klären, wenn sie nicht verdächtigt werden will, als „Generationenpartei“ des Einheitsprozesses nur vom Ost-West-Konflikt in der deutschen Gesellschaft zu leben – und mit dessen Ende ihr eigenes zu finden.

Die innerparteiliche Diskussion ist umso nötiger, als auch der Aufschwung in den Jahren 1998 und 1999 gravierende Defizite nicht überdecken kann: Programmatisch liegt nichts vor, was die Floskel des „modernen Sozialismus“ füllen und WählerInnen jenseits der angestammten Klientel im Osten interessieren könnte. Dies erklärt zumindest teilweise, warum die Westausdehnung bislang gescheitert ist. Große Teile der organisierten wie der nicht organisierten westdeutschen Linken betrachten die PDS nicht als ihre Hoffnung. Zugleich ist die organisatorische und politische Basis der PDS im Westen schwach – trotz der Landesverbände dort sowie kleiner Erfolge bei kommunalen Wahlen. Zudem fehlt, wie der Parteitag in Münster und der gespaltene PDS-Landesverband in Hamburg demonstrierten, ein eindeutiges politisches Profil; schließlich haben der bisherige Sympathieträger, der Mannschaftskapitän und der Chefstratege ihre Jobs geschmissen.

Die PDS steckt in einem strategischen Dilemma. Einerseits sucht sie die Akzeptanz der SPD, andererseits will sie von links „Druck auf die SPD“ machen. Druck setzt Kraft voraus. Doch bislang blieb die Hoffnung unerfüllt, Sprachrohr der deutschen Linken zu werden, vom Gang der SPD in die Mitte zu profitieren und neue Wählerschichten im dadurch entstandenen Vakuum zu gewinnen. Unverändert wird die PDS im Osten von ihrer Milieuverhaftung begünstigt und im Westen von herumschweifenden Wählergruppen, deren Gemeinsamkeit Systemverdrossenheit ist. Auf Dauer wird dies die PDS nicht retten: weder die ostdeutsche Solidarität – die Partei wird dort gewählt, obwohl ihr außerhalb des Politikfeldes „Soziales“ kaum Kompetenzen zugesprochen werden – noch die Funktion als Mehrheitsbeschafferin.

Die Zwickmühle, in der die Partei steckt, offenbart deren Sinnkrise: Unschlüssig schwankt sie zwischen den Polen. Soll man als systemkritische Opposition den Kapitalismus überwinden, als alternative Reformpartei strategische Konzepte entwickeln oder sozial und ökologisch ausgerichtet in den Regierungen mitgestalten? Alles kann die PDS nicht sein, für eins sich nicht entscheiden. Ihre Identitätskrise wird in der Zersplitterung der Partei in eine Art „PDS e. V.“ (Lothar Bisky) deutlich. Die Teile des Vereins sind von differenzierter Relevanz und unterschiedlicher Produktivität; das beeinträchtigt ihre Profilbildung wie ihre strategische Handlungsfähigkeit. Ihr politischer Pluralismus ist durch die Fragmentierung der Aktivisten in Reformsozialisten und -pragmatiker, Kommunisten und orthodoxe Sozialisten sowie basisdemokratische Fundamentalisten unproduktiv. Die innerparteilichen Machtkämpfe zwischen Modernisierern und Traditionalisten führen zu Cliquenbildungen. Noch schlimmer: Als Folge schotten sich die Führungsgruppen von der Basis ab. Die Mitglieder werden frustriert und lassen sich kaum mehr mobilisieren. Schon jetzt hat die Partei keine ausreichend qualifizierte Personalreserve mehr. Zudem muss die politische und kulturelle Differenz zwischen Ost und West ausgeglichen werden – bei Mitgliedern und Führungspersonal. Da wird die neue Parteiführung, sowieso belastet mit dem alten Problem, wie eine Doppelspitze effektiviert werden kann, ihr Problembewusstsein schärfen müssen.

Es fehlt der PDS nicht nur ein allgemein akzeptierter Grundkonsens über den Charakter der Partei. Solange es kein Konzept gibt, wie sich die PDS mittelfristig in den westlichen Bundesländern sozial verankern lässt, wird noch über einen weiteren Punkt diskutiert und gestritten werden: ob die PDS sich als gesamtdeutsche oder als ostdeutsche Regionalpartei verstehen soll. Auch wenn die PDS dies nicht allein entscheidet – es hängt sehr vom Verhalten und der programmatischen Flexibilität der anderen Parteien ab, ob sich die PDS dauerhaft etablieren kann –, eines ist deutlich: Die alleinige Vertretung von Ostinteressen kann das Überleben der PDS nicht dauerhaft sichern, sondern höchstens noch für die nächsten Legislaturperioden. Denn die Lösung regionaler Hauptprobleme verlangt den Rahmen eines oppositionellen gesamtdeutschen Reformkonzepts. Ohne überzeugende Politikangebote für den Westen kann die PDS kaum die Kraft entfalten, ein sozialistisches Korrektiv zur SPD zu sein.

Für eine Partei links von der SPD könnte vielleicht sogar Raum sein, da die SPD von kapitalismuskritischen Positionen abrückt und ihre konsequente Reformbereitschaft von vielen Wählern bezweifelt wird. Nur: Sind solche Positionen auch nur ansatzweise mehrheitsfähig? Dies ist durchaus fraglich.

Die Alternative ist ebenso riskant: sich durch die „Öffnung zur Gesellschaft“ an den Wertewandel anzupassen und zu hoffen, damit neue Wählerschichten links von der Mitte zu finden. Denn dann ginge die alte Klientel verloren.

Die alleinige Vertretung von Ostinteressenkann das Überlebender PDS nicht dauerhaft sichern

Das Dilemma ist offensichtlich: Was die PDS auch tut, die Folgen sind ungewiss. Zwar ist die PDS in der Regionalliga Ost noch nicht gefährdet, aber sie will ja auch in der gesamtdeutschen Liga mitspielen. Die bisherige Strategie für den Aufstieg war offensichtlich nicht erfolgreich genug, doch andere sind umstritten. Letztlich geht es um die Frage: Mitspielen oder vom Rand aus motzen?

GERO NEUGEBAUER