Die eigenen vier Wände zum Nulltarif

Das polnische Parlament hat ein Gesetz zur Eigentumsübertragung von kommunalen Wohnungen verabschiedet. Gemeinden kommen in Geldnot

WARSCHAU taz ■ Mitten im Sommer steht der Weihnachtsmann vor der Tür und schenkt dem verdutzten Polen eine Eigentumswohnung – mit dieser Karikatur traf die auflagenstärkste Tageszeitung Polens, Gazeta Wyborcza, das Gefühl vieler Polen. Die „Allgemeine Eigentumsübertragung“ gehörte zu den großen Wahlversprechen der konservativen „Wahlaktion Solidarność“ (AWS) vor zwei Jahren: Der Bevölkerung sollte ein großer Teil des Staatseigentums übereignet werden. Der kleinere Koalitionspartner, die liberale Freiheitsunion (UW), hatte das Projekt als utopisch abgelehnt, sodass in den letzten beiden Jahren sämtliche Privatisierungsvorschläge in die Schubladen wanderten. Seit dem Bruch der Koalition im Juni regiert aber die AWS allein und hat ein erstes Gesetz zur Eigentumsübertragung von kommunalen Wohnungen vorbereitet.

Inzwischen hat das Gesetz die erste Lesung im Sejm überstanden, der Senat hat in seiner Sitzung am Dienstag noch die Schrebergärten ins Gesetzespaket gepackt, dafür aber die Dienstwohnungen herausgenommen. Die sechzig Familien, die auf der Königsburg im Krakauer Wawel wohnen, werden also keine Schlossbesitzer.

Durch das Gesetz, das noch einmal durch den Sejm muss, würden alle begünstigt, die bislang in einer kommunalen oder staatlichen Betriebswohung zur Miete wohnen. Diese Mietwohnungen werden zu Eigentumswohnungen, ohne dass die Mieter dafür bezahlen müssten. Mieter von Genossenschaftswohnungen müssten 5 Prozent des Marktwertes der Wohnung bezahlen, um sie als Eigentum nehmen zu können, würden aber vom Staat die Hälfte ihrer Genossenschaftseinlagen und -kredite zurückerhalten. Allein diese Summe beläuft sich auf 6 Milliarden Zloty (3 Milliarden Mark).

Hinzu kommen nun nach dem Willen des Senats die Schrebergärten. Knapp eine Million Polen würden Eigentümer von rund 150.000 Schrebergärten. Da das Gesetz die benachteiligt, die ihre Wohnung in den letzten Jahren gekauft haben, werden sie „indirekt“ an der Privatisierung des Staatsvermögens beteiligt. Sie sollen Anteile an einem Fonds erhalten, in den 7 Prozent der Erlöse aus noch ausstehenden Privatisierungen von Staatsunternehmen einfließen sollen.

Wie viel diese Kupons wert sein werden, kann heute niemand sagen. Das Gesetz, das Ex-Finanzminister Balcerowicz scharf kritisiert, weil es unabsehbare finanzielle Risiken für den Staat birgt, hat in den letzten Monaten den Wohnungsmarkt in Polen durcheinander gebracht. Insbesondere die Gemeinden, die Erlöse aus dem Verkauf kommunaler Wohnungen fest ins Budget eingeplant hatten, kommen in Schwierigkeiten. Weit über ein Drittel der Kaufinteressenten, berichtet das Nachrichtenmagazin Wprost, sei in den letzten Wochen kurz vor Vertragsabschluss zurückgetreten. Balcerowicz befürchtet, dass die Gemeinden von der Regierung Schadenersatz fordern könnten. Vor der Eigentumsübertragung hätten zunächst die Gemeinden und Genossenschaften enteignet werden müssen. Die Folgekosten seien nicht berechnet worden. Viele Neu-Eigentümer von Wohnungen könnten sich diese nicht leisten, da sie ja auch für Instandhaltungskosten des Hauses aufkommen müssten. Heruntergekommene Wohnungen seien auf dem freien Markt kaum etwas wert, sodass viele Mieter durch die Eigentumsübertragung ihre Wohnung verlieren würden und am Ende schlechter dastünden als zuvor.

Kritiker des Gesetzes hoffen auf den Präsidenten: Legt er sein Veto ein, kommt das Gesetz zu Fall. Doch Kwasniewski bewirbt sich erneut um das Präsidentenamt und steht vor einer schweren Entscheidung: Wer wählt einen Weihnachtsmann mit leeren Händen? GABRIELE LESSER