Wesen, die den Regen lieben

■ Der Sommer ist gegessen, und alle sind beleidigt. Alle? Oh nein. Es gibt ein paar Daseinsformen, die mögen's nass. Wachsen, schleimen, Geld verdienen – alles ist möglich

Das Leben ist hart. Jaja, werden Sie sagen, schon klar, und der Sommer ist auch gelaufen. Auch, wenn heute mal die Sonne scheinen sollte. Aber, und das ist die gute Nachricht, es existieren Wesenheiten, die mögen's feucht. Die lieben den Regen. Die kommen umso mehr aus sich heraus, je mehr sich Sonnenfreaks unter die Höhensonne zurückziehen. Ein paar dieser seltenen, aber nichtsdestotrotz existierenden Daseinsformen möchten wir vorstellen. Hier und heute.

Der Pegel

Da ist der Pegel an der Weser. Die Welt der Wasserstandsmesser – so nennt sich der Pegel, wenn er auf nobel machen will – ist bunt: Es gibt sie in schwarz-weiß, gelb-schwarz oder auch in rot-weiß. Schön bemalt ragen sie stolz und gerade aus dem kühlen Nass, jammern manchmal über die ach so graue Mauer, an die sie Zeit ihres Lebens gebunden sind, und finden es ungemein prickelnd, wie das Wasser an ihren Füßen, den Knien, dem Bauch vorüberstreicht. Je höher, desto schöner. Pegel sind halt so. Das hiesige Wasser- und Schifffahrtsamt tendiert zu der gelb-schwarzen Variante. Die Beamten messen am Pegel nicht nur den Wasserstand, sondern mit Hilfe von mathematischen Formeln auch den „Abfluss“ der Weser. „Ih bah“, sagt da unsereins, „pfui, Abfluss.“ Aber wir kennen halt den Pegel nicht. Der findet das nämlich klasse. Denn im Abfluss wird angegeben, wieviel Kubikmeter Wasser an dem jeweiligen Messpunkt in einer Sekunde vorbeifließen.

Der Regen hat mehr Auswirkungen auf die Fließgeschwindigkeit als auf den Wasserstand. Und darum mag der Pegel das Nass von oben so gerne: Weil's dann endlich richtig abgeht, all der Matsch vom Rumpf gewaschen wird und endlich wieder Leben in die Bude kommt. Von dem Regen profitieren alle die, die auf dem Wasser mit der Strömung vorankommen: Enten, Papierschiffchen, alte Konserven, Kanufahrer – sie alle freuen sich über die steigende Fließgeschwindigkeit, während es dem Pegel zwischen den Zehen kribbelt...

Der Schleimpilz

Auf dem kleinen Ast im Bürgerpark-Gras liegt, freut sich ein anderer über feuchtes Wetter: der Schleimpilz Stemonites Fusca Roth. Er wächst bei dem feucht-warmen Wetter aus einem milchig-weißen, schleimigen Plasmodium. Er schleimt aber nicht nur unheimlich gerne auf herumliegenden Ästen. Nein, er lässt sich auch auf allen sonstigen Pflanzenteilen nieder, die an der Erde liegen. Auf ihnen wächst er schnell zu einem, aus rot-braunen Sporen bestehenden, schlanken, zylindrischen Gebilde von fünf bis zehn Millimetern Länge heran. Schleimi und seine pilzigen Freunde saugen sich so richtig voll mit Nässe, wachsen, werden größer – kurz: sind glücklich.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) empfiehlt das Pilzesammeln. Nur, so BUND-Mann Bernt Grauwinkel: „In Bremen selbst sieht es mit dem Angebot nicht besonders gutaus.“ Dafür muss man sich schon in die Wälder in der Verdener Umgebung und bei Garlstedt bemühen. Bereits jetzt trifft der Pilzfreund auf Maronen, Röhrlinge und Butterpilze. Auch der eine oder andere Steinpilz findet sich schon.

Die Frau mit Schirm

„Anhand der Tagesumsätze, kann ich ablesen, wie das Wetter ist.“ Je schlechter, desto mehr Münzen und Scheine kann Dorrit Gramke abends zur Bank tragen. Und das macht froh. Dorrit Gramke freut sich vor allem über Platzregen. Sie ist die Inhaberin des Geschäftes „Schirm-Oertel“ zwischen Wall und Sögestraße. Bei schlechtem Wetter strömen die Kunden in ihr kleines Geschäft, das sich auf Stock, Schirm und Regenbekleidung spezialisiert hat. Das umfangreiche Sortiment enthält alles, was der durchnässte Mensch begehrt: klassische Damen- und Herrenschirme in mini und normal, modernde Designerschirme, auch der von Ernst-August an unbotmäßigen Journalisten erprobte Knirps fehlt nicht. Vielfältig wie das Angebot sind auch die Preise: Bis zu „200 Mark für Schirme, die aus Manufakturen stammen“, kann man hier lassen.

Zum Bremer Wetter sagt die Inhaberin, und es klingt irgendwie zufrieden: „Das wechselt so schnell, da kann man sich gar nicht drauf einstellen.“

Der Regenwurm

Regenwürmer, Lumbricidae, Familie der Gürtelwürmer, heißen Regenwürmer, weil sie vorzugsweise im Regen ihren verborgenen Geschäften nachgehen. Doch Vorsicht! Alles ist ganz anders als erwartet. Denn der Regen, insbesondere ein hochsommerlicher Platzregen, kann den Tod ganzer Wurmkolonien bedeuten. Gehen Sie doch mal nach einem solchen Unwetter in eine städtische Grünanlage! Massenweise toter, erbärmlich ersoffener Würmer, die ihre acht kurzen, der Fortbewegung dienenden Hakenborsten nie wieder ins Erd-reich bohren werden.

Der Große Regenwurm, der immerhin bis zu 30 Zentimeter lang werden kann, haust nämlich in metertiefen Wohnröhren, die bei Schlechtwetter volllaufen. In sumpfigen Niederungen kommt das Wasser sogar von der Seite! Oder von unten! Scheußlich. Also: In Wirklichkeit müssten Regenwürmer eigentlich Tau-Würmer oder Niesel-Würmer oder Nach-Regen-Würmer heißen. Das mögen sie nämlich: Gemütlich angefeuchteten Rasen – am besten kurzgeschoren –, auf dem sie nächtens herumstromern können, um den einen oder anderen fressbaren Pflanzenrest zu erhaschen. Man muss also auch hier sagen, dass die Beziehung des Wurms zum Regen eine ambivalente Angelegenheit ist – wie so vieles im Leben.

chs, hase, sgi