Lebenslänglich Millowitsch für Lienen

So wird die Saison, die wird (Teil 10 und Schluss: Der Rest): Warum Bochum bester Revierklub wird und Rostock schlechtester Ostklub, Schalke an Schalke scheitert, Frankfurt an einem Postsparbuch, in Wolfsburg bald nicht mehr geheult wird und wieso der 1. FC Köln den Karneval im Vollrausch erlebt

von BERND MÜLLENDER

Seit gestern Abend, nach dem ersten Saisonspiel, gibt es den ersten Tabellenführer der Fußball-Bundesliga. Er heißt Hansa Rostock oder Borussia Dortmund. Oder beide. Was aber nicht viel bedeutet, denn erstens werden beide Teams, sorry, am Ende absteigen. Und zweitens geht es erst heute richtig los, erstmals mit der Komplettübertragung: alle Spiele parallel live im Bezahlfernsehen (s. Kasten).

Fußballmüdigkeit? Desinteresse? Skepsis und Abwarten als Reflex auf das deutsche Debakel bei der Europameisterschaft? Nein, die Fans harren. Die unverbrüchliche Hingabe des Süchtigen zum eigenen Klub ist stärker als alle vaterländischen Reflexe. Die Fans wollen die Kombination aus Entertainment, Prickel und Leiden. Immer in der Hoffnung, dass es für die eigenen Lieblinge am Ende gut ausgeht. Wieder wurden Dauerkartenrekorde aufgestellt. Dabei wissen alle: Erneut schaffen 17 Klubs die Meisterschaft nicht.

Einer aber wird es: natürlich, so weiß das taz-Orakel, die begnadeten Rumpelfüßler von Bayern München – selbst wenn das Dach des Olympiastadions einkracht, wenn Franz Beckenbauer Weltsportwart wird, als WM-Botschafter nach Südafrika geht oder als Golfball wieder geboren wird. Bayerns Vorsprung wird ein Spiegelbild der Liga sein: Ohne im europäischen Maßstab umfänglich zu investieren, reicht es locker, um die nationale Konkurrenz auf Distanz zu halten.

Die Liga, heißt es sonntagsredenhaft, soll das Auslaufmodell Nationalelf retten. Indes: Ligaweit sind die Hälfte aller Neuverpflichtungen ausländische Mitspieler. Insgesamt haben über 42 Prozent aller Profis einen fremden Pass. Ob sie einen gescheiten spielen können, muss sich zeigen: Die Investitionen in neues Personal hat sich gegenüber dem Vorjahr trotz boomender Umsätze halbiert. Nur Billigware für die Bundesliga? Die Manager jammern, alles Geld gehe für steigende Gehälter des vorhandenen Personals drauf. Deutsches Bleibegeld – damit sie nicht dorthin gehen, wo der wirklich große Fußball rund um die internationalen Topstars gespielt wird: in England, Italien, Spanien. Aber Ib-Ware stört den wahren Fan nicht! Wir dürfen uns schließlich auf viele andere Highlights freuen: Auf Chaos auf Schalke zum Beispiel, wo das Experiment des erwiesenen Kampfschweins Möller statt Memme Wilmots nach menschlichem Ermessen gar nicht gut gehen kann. Schalke-Coach Huub Stevens („Die Null muss stehen“) gilt bei den Buchmachern als erster Favorit für Trainerentlassungen (25:10).

„Die Null muss gehen“, hieß es schon Ende der vorigen Saison in Schalker Fan-Kreisen. Schalkes einziger Vorteil ist, dass es momentan keine Erwartungen gibt und deshalb Platz 15 noch möglich erscheint. Anders in Unterhaching. Hier gibt es nach wie vor keine Erwartungen und so führt der Weg, zum Ärger der Großkopferten, weiter bergauf bis auf Platz sechs. Anders bei 1860 München und Kaiserslautern, die beide zuletzt weit über Niveau tabellenplatziert waren, die ins triste Mittelmaß zurückfallen und so ihren Trainern Anlass zur karrierebeendender Demission bieten. Was die Liga sofort sympathischer macht.

Leverkusen erreicht glücklich das traditionelle Saisonziel Vizemeisterschaft, Dritter wird schon wieder der HSV. Nichts Neues also beim Dreigestirn. Dabei hätten die Hamburger mehr schaffen können, wenn nicht ihr Trainer Pagelsdorf in der Winterpause nach dem Verzehr von drei Weihnachtsgänsen pro Festtag so tragisch geplatzt wäre.

Der VfL Wolfsburg ist überraschend der dritte Absteiger, womit Wolfgang Wolfs Wolfsburger leitwölfisch wolfartige Wolfigkeit beendet wird. Den Job übernimmt Thomas Schaaf aus Bremen (wieder nur gehobenes Mittelmaß), in der 2. Liga folgen quälende Wortspiele wie Schaaf im Wolfspelz, die die humorbereite Szene hemmungslos goutiert.

Frankfurts Eintracht freut sich zu früh über Platz 13, weil sie diesmal am grünen Tisch gepackt werden. Nachdem ihr Trainer Felix Magath „wegen fortgesetzter Menschenschinderei“ von amnesty international nach Jolo verschleppt wurde, schaffen es die traditionell tumben Vereinschefs nicht, das vereinseigene Postsparbuch zu plündern („Übbeweisung geht nicht weidä“), um damit die Lösegeldforderungen zu begleichen. Der DFB verweigert die Lizenz wegen „nachweislicher wirtschaftlicher Unselbständigkeit“. Gladbach jubelt als vierter Aufsteiger (neben Nürnberg, Bielefeld, Reutlingen).

Der VfL Bochum darf trotz des mürbesten Ligatrainers (Zumdick), des überschätztesten Spielmachers (Bastürk) und des langsamsten Abwehrkettenglieds (Stickroth) als Tabellen-14. überleben und sich nicht nur als bester Revierklub, sondern auch als drittbester Aufsteiger feiern lassen. Vor ihm landen nur Multikulti-Cottbus auf Platz zwölf und der große 1. FC Köln.

Beim FC setzt man zunächst auf Zusammengehörigkeitsgefühl („Stonn zusammen in jeder Mauer“) und neuer Bescheidenheit („Wir müssen nicht sofort Meister werden“). Trainer Ewald Lienen lässt sich sogar zum Prinz Karneval wählen („Man muss das Rheinische am eigenen Leib spüren. Nur so kann man es respektieren lernen“), überlebt den Rosenmontagszug, zwei freiwillig gelutschte Bonbons („aber nacheinander, Trennkost“) und den Vollrausch nach einem ganzen Schluck Kölsch.

Als der FC auch noch Platz 7 (UI-Cup) erreicht, wird Lienen vom Klerus zum Dombischof honoris causa ernannt und vom Volk zum „Millowitsch auf Lebenszeit“. Soll keiner sagen, die Bundesliga habe nichts zu bieten. Figo und Zidane, Overmars und Henry – alles olle Kamellen, wie der Kölner zu sagen pflegt. Und wie leicht die Nationalelf gerettet wird, steht heute in der taz auf Seite 12 in der Stimme der Kritik.