Polens Wählern geht ein Licht auf

Nach Präsident Kwaśniewski wird auch der frühere Arbeiterführer Lech Wałęsa vom Verdacht der Spitzeltätigkeit für Polens Stasi freigesprochen

aus Warschau GABRIELE LESSER

Lech Wałęsa wankten die Knie. Der ehemalige Arbeiterheld Polens und erste demokratisch gewählte Präsident nach 1945 stand gestern erneut vor dem „Lustrations-“ oder Durchleuchtungsgericht in Warschau und musste Rechenschaft über seine politische Vergangenheit ablegen. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Zuvor hatte bereits der Anklagevertreter die Einstellung des Verfahrens gefordert, da die vorgelegten Beweisstücke widersprüchlich seien.

Beobachter waren ohnehin der Ansicht, dass die Überprüfung Wałęsas eine reine Formsache sei. Jeder Anwärter auf ein hohes politisches Amt muss in Polen eine „Lustrationserklärung“ abgeben, in der er offen legt, ob er in der Zeit der Volksrepublik für den polnischen Sicherheitsdienst gearbeitet hat.

Hätte Wałęsa nun aber in seiner Erklärung jede Mitarbeit bestritten, hätte ihm dies zum Verhängnis werden können. Denn das Gericht verhängt Strafen nicht etwa für die Mitarbeit beim Sicherheitsdienst, sondern für falsch ausgefüllte Lustrationserklärungen. Und Walęsa hatte früher zugegeben, dass er Anfang der 70er-Jahre „einen Schrieb“ bei der polnischen Stasi unterzeichnet hatte. Dem Gericht lagen auch einige, allerdings eher nichts sagende Berichte des damals jungen Arbeiters vor.

Hätte das Gericht Wałęsa nachweisen können, dass er die Lustrationserklärung falsch ausgefüllt hat, hätte ihn dies für die nächsten zehn Jahre von allen weiteren Ämtern im Staate ausgeschlossen. Unwichtig wäre gewesen, dass Wałęsa die erste freie Gewerkschaft im Ostblock erkämpft hatte. Dass er es war, der mit der Solidarność die Partei und die polnische Stasi in die Knie gezwungen hatte. Dass er 1989 mit dem Runden Tisch, an dem Solidarność-Vertreter und Kommunisten einen Kompromiss über die Machtteilung aushandelten, die ersten halb demokratischen Wahlen ermöglichte.

Vor dem Gericht zählte nur, ob die Präsidentschaftskandidaten in ihren „Lustrationserklärungen“ die Wahrheit gesagt haben. Wałęsa bestritt, eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet zu haben. Das Gerücht, er sei als „Bolek“ in den Akten der polnischen Stasi geführt worden, wies er zurück. Die ihm vorgelegten Kopien der Dokumente bezeichnete Wałęsa als „Fälschungen“.

Mit der gestrigen Entscheidung zieht Wałęsa mit Aleksander Kwaśniewski gleich. Dem amtierenden Präsidenten, der sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, war ebenfalls vorgeworfen worden, die Lustrationserklärung falsch ausgefüllt zu haben. Er sollte als „Alek“ mit dem polnischen Sicherheitsdienst zusammengearbeitet haben. Im Lauf des Prozesses wurde aber klar, dass das Kürzel „Alek“ zwar auch zu einem „Kwaśniewski“ gehörte, jedoch zu Tadeusz. Dieser hatte als Redakteur der Tageszeitung Zycie Warszawy gearbeitet, Aleksander Kwaśniewski hingegen als Chefredakteur der Jugendzeitschrift Sztandar Mlodych. Vor zwei Tagen wurde der Präsident vom Vorwurf der Lüge freigesprochen. Mit über 60 Prozent Zustimmung hat er die besten Chancen unter allen Prasidentschaftskandidaten.

Keine Probleme mit seiner Erklärung hatte Andrzej Olechowski, dem Chancen eingeräumt werden, es in die zweite Runde zu schaffen. Olechowski hatte zugegeben, für die Stasi spioniert zu haben. Das Lustrationsgericht hat dies in den Akten bestätigt gefunden. Und die Wähler stört es nicht. Zur Zeit liegt Olechowski mit Marian Krzaklewski, dem Vorsitzenden der Solidarność, gleich auf. Mit die geringsten Chancen hat Wałęsa – nur 3 Prozent der Wähler würden ihn gern erneut als Präsidenten sehen.