Den Mund voll Engelwasser

■ Ironisch – gern. Melancholisch – aber in Maßen: Gesungenes, Gelesenes und Gegeigtes aus Dänemark in Hamburg

Wenn Pia Juul es schreibt, wirds schon stimmen: Den Mund voll Engelwasser, legt sie sich morgens auf die Wiese, den Kopf voller Purzelbäume, die ihr das frisch gemähte Gras vorgemacht hat. Aber was, wenn plötzlich direkt nebenan ein Unfall passiert? Wo sind sie hin, die Engel, wo ist sie geblieben, die im Traum gesehene Treppe zwischen Himmel und Erde?

Fragen, die einer längeren Diskussion bedürfen, und die, wer mag, im November im Literaturhaus wird beantworten können: Als Teil der Reihe Danmark til Hamburg, die sich im Frühjahr dem 19. Jahrhundert widmete und ab September aktuelle Strömungen des Nachbarlandes präsentiert.

NachwuchsautorInnen wie Pia Juul, Morten Söndergaard und Niels Lyngsö werden dabei sein und dem humorvollen Duktus einer Lise Nörgaard und eines Poul Vad eine melancholische Facette hinzufügen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Toten die Erdkruste durchbrächen und die ihnen zugeteilte Zeit noch einmal in entgegengesetzter Richtung durchreisten? Würde das, wie Niels Lyngsö im Gedicht Konstellation nr. L vermutet, Bedauern hervorrufen? Und wäre es wirklich lohnend, all die bizarren Wegbiegungen noch einmal zu passieren? Würden die „großen weißen Jahre“, von denen Morten Söndergaard in seinen Öffentlichen Bekenntnissen in Dylan-Thomas-Manier spricht, neue Bedeutung bekommen? Und werden die ZuhörerInnen immer genau wissen, in welcher Dimension die Autoren gerade herumspazieren?

Aus dieser Gratwanderung wird man keineswegs entlassen in den anderen Veranstaltungen der Reihe, zum Beispiel der Musikinstallation Mind-spray, die das Publikum im November auf Kampnagel mit hineinziehen wird in die Computerklänge, die DJ Anders Andreasen aus den Gedichten des Dänen Peter Laugesen geformt hat.

Die Unmöglichkeit der Verqui-ckung von Schall und Bild bzw. ihre quälende Ent-Zerrung kann, wer will, beim Außendienst-Kunstprojekt der Kopenhagenerin Katya Sander erleben: In einer Arena wandelt hier das Publikum, und zwei Videofilme mit identischer Tonspur laufen dort auch, und zwar parallel. Angucken kann man sie aber nur nacheinander, als solle man gezwungen werden, sich der Unmöglichkeit synchroner Wahrnehmung bewusst zu werden – eine interessante Konzentrationsübung für den modernen Zeitgenossen, der ja doch genau weiß, dass ihm multidimensionale Rezeption ständig, mühe- und pausenlos gelingt.

Was gibts noch? Malerei von Carin Faaborg, Malene Landgreen, Lise Malinkovsky und Anne Tholstrup wird zu sehen, zeitgenössische Musik zu hören sein, unter anderm die 6. Sinfonie von Per Nörgard – und das Klarinettenkozert von Carl Nielsen, geboten von der Klarinettenvirtuosin Sabine Meyer.

Petra Schellen