Nur Pixel auf dem Palmtop

Ambitionierte Analyse des Raubritter-Kapitalismus: Abel Ferraras Verfilmung von William Gibsons New Rose Hotel  ■ Von Tim Gallwitz

In englischen, japanischen und deutschen Lettern läuft der Vorspann über die Leinwand. Es sind die drei wichtigsten Business-Sprachen, die den Credits von New Rose Hotel ihre Zeichen leihen. Und um nichts weniger als Gegenwart und Zukunft eines allerorten entfesselten Kapitalismus geht es.

Global Players beherrschen die Szenerie, sich ihre „Human Ressources“ mit Hilfe von Agenten gegenseitig abjagend: „I steal people“, erklärt Fox (Christopher Walken), der zusammen mit X (Willem Dafoe) vom japanischen Konzern Hosaka beauftragt ist, dem deutschen Konkurrenten Maas den Genetiker Hiroshi abzujagen.

Phantasiegehälter, wievielstellig auch immer, sind dabei nicht ausschlaggebend, andere „Human Ressources“ gefragt. Es braucht – oh Überraschung! – eine Frau, um den Top-Wissenschaftler zu ködern. Die ist mit Asia Argento als der Prostituierten Sandii rasch gefunden. In eindeutiger Bar rotrot ausgeleuchtet, mit Her soul is black entsprechend besungen, geht Sandii bei X in die Schule der Verführung, was ferraraeske Explizitheiten nicht erspart. – Nebenbei, dass Argento ein Engel-Tattoo unterhalb des Nabels trägt, ist auch so dermaßen Ferrara...

Hiroshi verfängt sich bei Sandii, und der Coup scheint zu gelingen. Doch ein eingeschleustes Virus, so erfahren wir aus wackligen, grünstichigen Videobildern, rafft den Wissenschaftler und seine Mitarbeiter dahin.

Der derart zusammengefasste Plot weist eine Stringenz auf, die ihm erst nachträglich übergestreift ist. Denn die Diskontinuität im Handlungsablauf ist beunruhigend. Ferrara zerbricht die Sicherheiten einer allwissenden Erzählung in zahllose narrative Scherben.

Ebenso fragmentiert ist der krass-disparate Bilderfluss. Dessen Verwerfungen in ständig wechselnden Formaten – Film, Video, Screenshots vom Palmtop, Split Screen – irritieren den an die allwissende, einheitliche Kamera gewöhnten Blick. Der lückenlosen Aufnahmeapparatur scheint zunehmend die sinnvolle Aufzeichnung der Ereignisse zu entgleiten: Ein großer Teil handlungsrelevanter Action findet außerhalb statt, mitunter gerade noch in Screenshots ungleichzeitig aufgefangen.

Als hätte Fredric Jameson mit seinen filmtheoretischen Überlegungen Totality as Conspiracy Pate gestanden, ist mit New Rose Hotel ein Film im „gap between form and content“ des Cyberage angekommen. Diese Lücke zwischen Inhalt und Form spiegelt die aus der Objektwelt abgelöste Cyber-Verschwörung, deren Ungreifbarkeit in der Brüchigkeit und Flüchtigkeit von Ereignissen, Begegnungen und Informationen hin- und herflickert. Bars in Rotlicht, cremefarbene Hotelzimmer, Flughäfen, Metropolenansichten: Der radikal beschränkte und zugleich global erweiterte Aktionsradius des Individuums im Jet-Age verdichtet sich in verengten oder totalen Räumen. Perdu ist diese entgrenzte physische und elekt-ronische Mobilität, nachdem sich Walken, der hier mit begrenztem Repertoire wilder Gesten nicht voll überzeugen kann, lapidar in den Freitod verabschiedet hat.

Nun präsentiert Ferrara die Story noch einmal im Replay. Diese Wiederholung bringt das „cognitive mapping“ von X auf den Punkt, wenn der jetzt Gejagte in einem kokonartigen Raum Bildfetzen Revue passieren lässt. Sein Reviewing, aus differenten Kamerawinkeln und Bildmaterialien erzeugt, weist bekannten Details neue Bedeutungen zu. Und am Ende kein Ausweg mehr und Kontostände nur Pixel auf dem Palmtop: Bereits 1998 in Venedig präsentiert, hat New Rose Hotel bis dato keinen regulären Kinostart. Und die wenigen Vorstellungen im Abaton privilegieren das hiesige Publikum, einen Film zu sehen, dessen Missachtung sich einst als Ignoranz herausstellen wird. Denn das ganze Labern von Digitalisierung, das nur in noch größerer, zahnloser Animation überfrachteter Sci-Fi-Märchenphantastik mündet, hätte hier mal einen Bissen, der nicht nur schmeckt, sondern an dem es auch was zu kauen gibt.

Als Nachschlag besucht: Ms. 45 (1981) die Spätvorstellung. Ferraras zweiter Langfilm ist ein Klassiker des Rape-Revenge-Genres und erlangte Kultstatus im Mitternachtskino. Der Alternativtitel Angel of Vengeance umschreibt in aller Kürze, was im Film so los ist. Die stumme Thana wird Opfer gleich zweier Vergewaltiger (den ersten spielt Ferrara selbst) und startet darauf einen Rachefeldzug, in dem nur noch das Geschlecht über Leben und Tod entscheidet. Wenn Thana beim Showdown im Nonnen-Outfit mit ihrer 45er Magnum ein Massaker anrichtet, exekutiert hier ein asexueller Engel – weibliches Gegenbild der lasziven Sandii – seine Rache im Abstrakten.

Heute 20 Uhr: New Rose Hotel (OF) mit Präsentation des Buches Die bizarre Schönheit der Verdammten – Die Filme von Abel Ferrara (Schüren, 29 Mark) durch die Herausgeber Bernd Kiefer und Marcus Stiglegger

Heute 22.30 Uhr: Ms. 45 – Angel of Vengeance (OF)

New Rose Hotel außerdem am 15., 16., 21., 22.8. jeweils um 22.30 Uhr