Aufwärts mit Doppeltoni

Werder Bremen hat einen neuen Turbostürmer und fegt die energielosen Cottbuser gnadenlos mit 1:3 Toren vom Platz  ■ aus dem Weserstadion Jochen Grabler

Man möchte die Augen zumachen als gemeiner Werder-Fan und träumen: Wie Frings oder Wicky oder meinetwegen Herzog die Pille auf den Fuß kriegt, weit vorne die Lücke erspäht – wie der lange Pass in den Rücken der gegnerischen Abwehr kommt – wie nicht nur eine Wolke aus Gras und Krume sich erhebt, sondern gleich zwei – startende Werder-Stürmer, Hochgeschwindigkeits-Läufer, Horrorgegner eines jeden Verteidigers – wie sie eine sengende Spur ziehen auf den Torsteher zu – der flüchtet ... Den Rest kann man sich denken. Man möchte träumen nach diesem Samstag. Denn siehe, den Grün-Weißen ist ein neuer Turbostürmer erschienen. Paul Stalteri, gestern noch in der Amateurtruppe, heute Ersatz für den verletzten Toni Ailton. Und was für einer! Torschütze, herzerfrischender Flankengeber, Distanzschütze, Strafraumschreck, Laufwunder – vor allem: schnell. Wenn Ailton wieder fit ist, dann darf sich Pizarro ruhig mal von den nationalmannschaftsbedingten Reisestrapazen erholen. Dann stürmt Werder eben mit Ailton und Stalteri. Mit Doppeltoni. Quasi. Man möchte träumen.

Dass es ausgerechnet ein Bundesliga-Frischling war, der am Samstag im Weserstadion für Furore sorgte – es könnte ein Zeichen sein für die neue Werder-Saison. Ein Zeichen dafür, dass ein schwerer Mangel der letzten Jahre nun endlich behoben ist. Es hätten ihm eben gleichwertige personelle Alternativen zur ersten Mannschaft gefehlt, hat Trainer Thomas Schaaf den Leistungsknick seines Teams in der Rückrunde der letzten Saison erklärt. Die hat er nun reichlich, was ein Blick auf die grün-weiße Auswechselbank von diesem Wochenende beweist.

Von deren Besatzung waren allein Ersatzkeeper Stefan Brasas und Dirk Flock das Ersatz- und Ergänzungsdasein schon gewohnt. Neben ihnen aber saßen die verdiente Fachkraft Bernhard Trares, in schlechten Zeiten unverzichtbarer Antreiber, Rade Bogdanovic, vor einem Jahr noch vielumjubelter Pizarro-Partner im „Traumsturm Pizzanovic“, Fabian Ernst, Kapitän der U-21-Nationalmannschaft und potentieller Nachfolger von Dieter Eilts, Mladen Krstajic, jugoslawischer Nationalspieler, Torsten Frings, A2-Nationalspieler mit Zug in Völlers Kader. All diese Herren könnten eigentlich erste Wahl sein. Ganz zu schweigen, dass Jungtalent Ivica Banovic wie Dieter Frey noch verletzt ist, und Spieler wie Christoph Dabrowski oder Jurij Maximov nicht mal im Kader waren. Und dann wäre da noch Ailton.

Möglicherweise ist das tatsächlich die Erkenntnis vom Samstag: Schaaf hat Alternativen. Endlich. Keiner darf sich seines Stammplatzes sicher sein – was im Umkehrschluss heißt, dass jeder seine Chance hat. Tjikuzu – zuletzt eher ins zweite Glied gerückt – hat sie genutzt und hat gespielt. Und Victor Skripnik – in der Sommerpause beinahe schon nach Frankfurt verkauft – hat zur Überraschung des kritischen Publikums eine glänzende Partie gezeigt.

Ansonsten hielt sich der Erkenntniswert des Saison-Auftakts in ziemlich engen Grenzen. Dass Wicky glänzte, dass selbst Herzog rackerte, Bode ein schönes Kopfballtor erzielte, Eilts gut war wie immer, die Innenverteidigung mit Verlaat und Baumann so sicher schien, als würden die beiden seit Jahren miteinander kicken – was sagt das schon, angesichts dieses Gegners? Der eigentlich kein Ernst zu nehmender war. So schwach wie Cottbus hat sich seit Jahren kein Aufsteiger beim Bremer Publikum vorgestellt. „Ein Lehrfilm“ sollte das Video vom Betriebsausflug seiner Multikulti-Combo sein, sagte Coach Eduard Geyer hernach. Die kann Nachhilfe reichlich gebrauchen.

Keeper Piplica machte zwar manchen Weitschuss unschädlich, doch mit dem gemeinen Bällefangen hat er's nicht ganz so. Die Abwehr um Interims-Libero Kevin McKenna produzierte einen kreisligareifen Stellungsfehler nach dem nächsten, und wenn die roten Defensivkräfte mal den Ball kontrolliert nach vorne bringen konnten, dann wamsten sie die Pille meistens einfach stumpf in Richtung Bremer Tor, gerne mal ins Aus. Intelligente Spieleröffnung war ihre Sache nicht. Vor ihnen werkelte ein Mittelfeld, das den Bemühungen der Bremer Kreativlinge nur staunend zuguckte und entsprechend hinterherzappelte, beziehungsweise -grätschte. Und vom Angriff kann gesagt werden, dass er praktisch nicht vorhanden war. Cottbus spielte einfach erbarmungswürdig schlecht.

Was will man nach einem Spiel gegen einen solchen Gegner schon sagen? Trainer Thomas Schaaf, frischgebackener Tabellenzweiter – zwar nur für einen Nachmittag, aber immerhin – hielt sich mit Lobeshymnen für seine Truppe eher zurück. Dass die nach dem höchst überraschenden Rückstand nach einem Traum-Freistoß des Cottbusers Miriuta in der 15. Minute ruhig geblieben und beim eigenen Plan geblieben sei, spreche für sich. „Insgesamt“ sei er „schon zufrieden“ brummelte der Trainer, „auch wenn wir wieder zahlreiche Chancen nicht genutzt haben.“

Womit er zweifellos recht hatte. Die Gäste hätten sich auch nicht über doppelt so viele Einschläge beschweren dürfen. Was vor allem – siehe oben! – an Stalteri lag. Er sei schon ein paar Minuten lang nervös gewesen, meinte der Kanadier mit einem etwas verdrucksten Lächeln nach dem Abpfiff. Gemerkt hat man davon nichts. Während sein Angriffspartner Pizarro verletzungsbedingt eher stationär und mittig zu Werke ging, wirbelte der Debutant mal auf dem linken, mal auf dem rechten Flügel, ließ sich zurückfallen, nur um geradezu ailtonesk in die Cottbuser Abwehrlücken zu stoßen, er flankte, schoss, kombinierte zum derartigen Entzücken der Zuschauer, dass die applaudierend aufstanden, als zehn Minuten vor Ultimo der Neuling in den vorzeitigen Ruhestand gehen durfte. Gleich zwei Tore im ersten Bundesligaspiel, nicht schlecht – auch wenn das erste vom unglücklichen Pfeifenmann Stark mangels korrekter Regelauslegung nicht gegeben worden war. In ein paar Wochen soll Ailton wieder fit sein. Aber vielleicht ist Pizarro dann ja müde. Bitte – man darf träumen.