Verschleierung als Krisenfaktor

Fehlendes Controlling bei der städtischen HAGÖF-HVG-BIG GmbH kann dazu führen, dass die BremerInnen den Sanierungskurs nicht mehr akzeptieren. „Jekyll & Hyde“ braucht aber eine zweite Chance, meint  ■ Heiner Heseler

Das mit großen Hoffnungen gestartete Bremer Musical „Jekyll & Hyde“ ist schon nach einem Jahr Spielzeit in die Krise geraten. Selbst die Macher des Musicals und die politischen Entscheidungsträger sprechen von einem notwendigen Sanierungskonzept, um die Fortführung des Musicals zu sichern. Entwickelt sich das Musical zu einem Millionengrab, das man besser heute als morgen einstellt?

Das Krisenmuster ist hinlänglich bekannt: Um die parlamentarischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit zu überzeugen, wurden unrealistische Planzahlen vorgelegt. Nicht nur die zu erwartenden Zuschauerzahlen waren offenkundig viel zu hoch angesetzt, auch die je Zuschauer zu erzielenden Einnahmen waren unrealistisch. So bleiben auch die wirtschaftlichen Effekte für die Region unter den Erwartungen.

Zugleich lagen die Ausgaben mindestens im ersten Jahr erheblich höher als geplant. In der Euphorie des gelungenen Auftakts und der Gewissheit staatlicher Subventionen fehlte es an Kostenbewusstsein. Ein funktionierendes Controlling gab es nicht. Nach marktwirtschaftlichen Kriterien wäre das Musical auf dieser Basis nicht lange überlebensfähig. Schon längst sind jedoch Sachzwänge eingetreten, die den Senat zum Handeln veranlassten, allerdings auch seinen Entscheidungspielraum begrenzen. Ein Abbruch des Musicals wäre unverantwortlich. Der Imageschaden für die Stadt wäre groß. Die Folgekosten für eine erneut leerstehende Investitionsruine überträfen mit Sicherheit die nunmehr fällig werdenden weiteren Subventionszahlungen für das Musical.

Schon deswegen muss „Jekyll & Hyde“ eine zweite Chance gegeben werden. Ohnehin liegt die aktuelle Krise nicht an der künstlerischen Qualität. Im Ranking der deutschen Musicals nimmt das Bremer Musical einen Spitzenplatz ein. Es ist ein wichtiger, wenngleich zu groß dimensionierter Baustein in der Tourismusstrategie des Stadtstaats, der auch dazu beiträgt, die Attraktivität der Stadt zu steigern. Das Musical hat zugleich auch eine Ausstrahlung auf die Region, den Einzelhandel, Restaurants und Hotels. Konsequenzen aber sind unausweichlich, wenn das Musical eine langfristige Perspektive gewinnen soll. Transparenz, Controlling und ein Sanierungskonzept, das auch bei geringeren Zuschauerzahlen einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht, gehören dazu.

Die mangelnde Transparenz ist inzwischen zu einem Krisenfaktor geworden, der das Musical ins Gerede gebracht hat. Da fehlen offensichtlich selbst den kontrollierenden Staatsräten die notwendigen Informationen, das Parlament wurde unzureichend informiert. Die komplizierte Vertragsgestaltung leistet der Intransparenz Vorschub und begünstigt das Entstehen einer Subventionsmentalität, indem sinkende Auslastungszahlen durch steigende Subventionsleistungen kompensiert werden. Selbst Daten über die Entwicklung der Auslastung wurden zunächst als Betriebsgeheimnis gehandelt und später mehrfach korrigiert. Nur unzureichend hat man offensichtlich aus Fehlern anderer Projekte gelernt.

Ein zeitnahes und aussagekräftiges Controlling ist eine selbstverständliche Minimalvoraussetzung sowohl für das Musical als auch in der Beziehung zwischen Musical und Staat. Dass dieses zunächst fehlte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Kontrolleure. Solange das Musical auf öffentliche Unterstützung angewiesen ist, die längst den Charakter einer Anschubfinanzierung überschritten hat, besteht auch die Verpflichtung zur Rechenschaft gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit.

Es kann auch nicht angehen, dass im Sozial- und Bildungsbereich eiserne Sparmaßnahmen durchgezogen werden, zugleich aber beim Musical außerordentlich großzügig mit öffentlichen Geldern umgegangen wird. So wird die Akzeptanz des Sanierungskurses untergraben. Dem Musical-Management scheint auch eine klare Unternehmens-Strategie zu fehlen. Um die Ausgaben zu senken, wurde offensichtlich das überregionale Marketing zeitweilig massiv eingeschränkt. Soll das Musical eine lange Laufzeit haben, ist jedoch der regionale Markt zu klein, bedarf es der verstärkten überregionalen Werbung. Nur dann treten auch die erhofften regionalwirtschaftlichen Effekte ein.

Langfristig muss sich das Musical selbst tragen

Bei welchen realistischen Auslastungszahlen kann das Musical auf Dauer rentabel betrieben werden? Handelt es sich bei den derzeit niedrigen Besucherzahlen nur um das Sommerloch oder gibt es bereits einen rückläufigen Besuchertrend? Wenn letzteres zutrifft, dann muss auch über Alternativen nachgedacht werden, mittelfristig ein neues Programm oder aber verstärkte Kooperationen mit anderen Musicals, die die Angebotsvielfalt erhöhen können. Sehr schnell ist von den Musicalbetreibern und dem Senat ein tragfähiges Konzept zu verlangen mit überprüfbaren Kriterien für zukünftige Entscheidungen. Langfristig, daran sollte kein Zweifel bestehen, muss sich das Musical selbst tragen, als Dauersubventionsempfänger hat es keine Perspektive. Auch für ein gutes Produkt wie „Jekyll & Hyde“ kann der Maßstab nur die Resonanz bei den Zuschauern sein, und die ist derzeit zu gering.

Es geht bei der aktuellen Diskussion jedoch nicht nur um das Musical. Aus den hier gemachten Fehlern gilt es Konsequenzen für die Sanierungsstrategie des Senats insgesamt zu ziehen. Das Investitions- und Sanierungsprogramm aber auch die Wirtschaftsförderungsstruktur gehören auf den Prüfstand:

Die Strategie, den Tourismus zu fördern, ist richtig. Zu fragen ist allerdings, ob die Relationen stimmen, ob nicht touristische Projekte zu groß dimensioniert und Ausgaben für Ausbildung oder Stadtsanierung darüber vernachlässigt wurden.

Wie steht es mit dem Space-Park? Wie kann sichergestellt werden, dass wir nicht auch bei diesem und anderen Großprojekten schon kurz nach dem Start erfahren werden, dass die angesetzten Planzahlen zu hoch gegriffen sind und das gleiche Krisen- und Sachzwangszenario erneut einsetzt?

Nicht nur beim Musical stellt sich die Frage nach der Rolle der vielen öffentlichen Gesellschaften – HAGÖF, HVG, BIG –, die im Auftrag des Senats Wirtschaftsförderung betreiben und das Investitionssonderprogramm umsetzen. Sie sollen einen flexibleren Einsatz öffentlicher Mittel und eine effizientere Kontrolle ermöglichen. Bei der Musical-Krise war davon nicht viel zu merken. Statt dessen verstärkt sich der Verdacht, dass diese Gesellschaften parlamentarische Kontrolle und öffentliche Information erschweren oder sich ihr zu entziehen versuchen. Dem muss entgegen gewirkt werden.

Die Sanierungs- und Modernisierungsstrategie des Senats, die durchaus Erfolge aufzuweisen hatte, bleibt langfristig nur erfolgreich, wenn sie von der Akzeptanz in der Bevölkerung getragen wird. Dazu gehören Transparenz, überprüfbare Kriterien und die öffentliche Diskussion über die einzelnen Projekte. Hieran mangelt es nicht nur beim Musical.

Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkt regionaler Arbeitsmarkt und leitet den Kooperationsbereich Universität-Arbeiterkammer.