AMERIKAS PARTEIENLANDSCHAFT HAT SICH NEU FORMIERT
: Progressiv und populistisch

Traditionell hat Amerika weder rechte noch linke Parteien von Bedeutung hervorgebracht. Jetzt aber hat Amerika – neben einer grünen – auch eine rechte Partei. Die von Patrick Buchanan usurpierte oder revitalisierte Reformpartei Ross Perots ist für Amerika das, was die Parteien Haiders, Le Pens und Schirinowkis für Europa sind – und wie diese ist sie an die Person ihres charismatisch-demagogischen „Führers“ gebunden.

Statt rechter und linker Parteien hat Amerika progressive und populistische Bewegungen hervorgebracht. Die Progressiven sind ursprünglich in Neuengland beheimatet, ihr Gedankengut speist sich aus den Kulturen englischer, skandinavischer und deutscher Einwanderung und wurzelt in der Tradition der Quäker und der Sozialdemokratie. Amerikas Populismus hingegen kommt aus dem amerikanischen Süden, besonders aus den Appalachen und Ozarks, in deren unzugängliche Bergregionen sich katholische Iren und schottische Siedler zurückzogen, denen Amerikas Landadel mit seinen ausgedehnten Besitzungen und Plantagen weder Land zum Siedeln noch Luft zum Atmen ließ. Sie stehen in natürlicher Gegnerschaft zum Großgrundbesitz und dessen Privilegien – und zu den Sklaven und deren Nachfahren. Motiv des Progressismus ist der Kampf um gleiche Rechte für alle. Die Progressiven traten gegen Sklaverei und für Sozialstaatlichkeit ein. Populismus hingegen wächst aus dem Ressentiment derer, über die der Fortschritt hinweggegangen ist, und richtet sich gegen Großgrundbesitz und Großindustrie.

Parteigründer Ross Perot war eine seltsame Mischung aus Progressismus und Populismus. Unter Buchanan hat die Partei ihre Doppeldeutigkeit aufgegeben. Ihre Mehrheitsfraktion steht heute im Lager des Populismus. Dafür haben Ralph Nader und die Grünen das Erbe des Progressismus angetreten. Progressismus ist traditionell ein Produkt relativen Wohlstands, Populismus eine Reaktion auf Verelendung. Progressismus ist von Fürsorge, Populismus von Zorn motiviert. Dass in diesem Jahr in Amerika beide Strömungen gedeihen, hat seinen Grund in der Zwiespältigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung. Einerseits herrscht noch nie dagewesener Wohlstand, der zur Besinnung über den Umgang mit dem Reichtum und dessen Grundlagen anregt; auf der anderen Seite hat die Entwicklung viele zurückgelassen. Deren Animosität gegen einen Wohlstand, von dem sie ausgeschlossen sind, und gegen Parteien, die nicht in deren Interessen handeln, mobilisiert die neue Reformpartei Buchanans. Dass diese kaum Chancen hat, auch nur zwei Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen, schafft das Problem, das sie auf den Plan gerufen hat, nicht aus der Welt. PETER TAUTFEST