nebensachen aus buenos aires
: Im Land der Piraten

Tote zahlen nicht

Ich kenne Angelo nicht. Nie hatte ich Gelegenheit, ihn kennen zu lernen, er starb vor einigen Jahren. Aber wir haben etwas, das uns bis heute verbindet: unsere Adresse. Angelo hat vor mir in meiner Wohnung im Stadtteil Palermo gewohnt. Mit stoischer Regelmäßigkeit empfange ich Post für ihn: Ein Kloster schickt ihm Briefe, die ich ungeöffnet in den Müll werfe, die Wasserrechnung kommt auf seinen Namen, die Telefonrechnung auch. Um dies zu ändern, bräuchte ich seine Unterschrift, meinte eine freundliche Dame am Telefon. Ich sah davon ab. Seit einiger Zeit empfängt Angelo auch Post von der argentinischen Steuerbehörde. Die immer per Behördenboten überbrachten Briefe behaupten, Angelo schulde dem Fiskus 18.000 Pesos, also 18.000 Dollar.

Ich bin nicht Angelo. Als ich einen Ordner voller Briefe hatte, ging ich damit zur Steuerbehörde, um das Missverständnis zu bereinigen. Mir fiel auf, wie schnell dort am Schalter Zehn-Peso-Scheine den Besitzer wechseln. Die Menschen vor mir in der Schlange hielten ihr Bargeld fest umklammert und klein gefaltet in der Hand. Dann redeten sie viel, fuchtelten dabei wild mit den Händen und beim Gehen wirkten sie zufrieden. Nur das Geld fehlte in ihren Händen. Daraus hätte ich meine Schlüsse ziehen können.

Stattdessen sagte ich nur, Angelo sei tot, ich wohnte jetzt in der Wohnung und bat höflichst darum, mich von der Verteilerliste zu streichen. Verständnisvoll wurde mir versichert, es sei in Ordnung, ich solle die Mahnungen einfach nicht mehr annehmen. Zufrieden verließ ich den Schalter. Zurück in Palermo informierte ich den Hausmeister, nichts mehr von der Steuerbehörde anzunehmen.

Dann starb der Hausmeister. Vor einer Woche lag unter meiner Wohnungstür ein neuer Mahnbescheid. Darin schlug die Behörde einen härteren Ton an und setzte Angelo ein Ultimatum. Wenn er binnen sieben Tagen nicht seine 18.000 Pesos bezahlt, dann kommen sie und beginnen mit der Beschlagnahme der Wohnungseinrichtung. Ich blickte in meine Wohnung. Die Bücherwand gehört dem Vermieter. Sie wiegt bestimmt 1,8 Tonnen. Aber 18.000 Pesos? Die Waschmaschine hatte wahrscheinlich noch die Ehre, Angelo persönlich kennen zu lernen. Die italienische Espressomaschine können sie gerne haben, sie erhitzt das Wasser nicht mehr.

Es war mehr Neugierde, die mich dazu trieb, bei den Nachbarn etwas über Angelo herauszufinden. Er sei, so war die einhellige Meinung, stets ein rechtschaffener Mann gewesen. Zwar hätte es ihn nach Palermo gezogen, das hätte allerdings weniger etwas damit zu tun, dass er der Mafia nahe gestanden habe, als viel mehr damit, dass seine Familie einst aus Sizilien einwanderte. Seine Steuern habe er stets gewissenhaft bezahlt.

Was habe ich also schon zu befürchten? Den Gerichtsvollzieher. Ich schaltete eine Anwältin ein, eine sympatische alte Dame. Sie gewinnt ihre Prozesse bestimmt dadurch, dass sie den Richter müde redet. Sie wusste zu berichten, dass es der Steuerbehörde egal ist, ob ich Angelo bin oder nicht. Sie beschlagnahmen einfach, und ich kann hinterher sehen, was ich mache. In einem Brief drohten wir jetzt, dem argentinischen Staat den Prozess zu machen, wenn er nicht augenblicklich das Verfahren gegen meinen Wohnungsbesitzer einstellt. Wir begründen dies mit Verletzung meiner Ehre, denn was sollen die Nachbarn denken. Meine Anwältin ist zuversichtlich.

INGO MALCHER