Volkes rechtsextreme Stimme

Ein Leserbrief in der „Saarbrücker Zeitung“ hat den Staatsanwalt auf den Plan gerufen. Wegen Verdachts auf Verbreitung der „Auschwitz-Lüge“ wird nun nicht nur gegen den einschlägig bekannten Autor ermittelt, sondern auch gegen die Redaktion

aus Saarbrücken KLAUS PLIET

„Volksverhetzung“ und „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“: Die Paragraphen 130 und 189 des Strafgesetzbuches haben es in sich. Der Saarbrücker Staatsanwalt Josef Pattar hat die schweren Vorwürfe in den letzten Tagen immer wieder heruntergebetet, am Telefon und vor diversen Mikrofonen. Sie gelten nicht etwa einer rechtsextremen Postille, sondern der Saarbrücker Zeitung, dem Monopolblatt am Ort.

Die nämlich hatte einen Leserbrief alarmierenden Inhalts abgedruckt: „Wir werden mit gefälschten Zahlen von der Holocaust-Connection erpresst!“, hieß es da. Am Dienstag nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. Dieser Leserbrief könnte den „Tatbestand der qualifizierten Auschwitz-Lüge“ erfüllen, so der Anfangsverdacht. Was den Fall besonders brisant macht: Die Staatsanwälte haben nicht nur den Schreiber im Visier; sie ermitteln auch gegen die beiden für die Leserbriefseite verantwortlichen Redakteure der Saarbrücker Zeitung, einer davon ist der Chef des Politikressorts. Pattar erinnert die Journalisten an ihre Sorgfaltspflicht: Nach saarländischem Pressegesetz mache sich mitschuldig, wer „strafrechtlich relevanten Inhalt“ veröffentlicht.

Ein bedauerlicher Fehler

„Ein bedauerlicher Fehler“, bemüht sich Chefredakteur Friedhelm Fiedler um Schadensbegrenzung. Die Redaktionskonferenz habe den Brief ausführlich diskutiert und kritisiert. Der Redaktionskasten auf der Leserbriefseite verspricht zwar ein „besonders breites Meinungsspektrum“. Doch „mit diesem Brief sind die Grenzen überschritten worden“. So etwas „hätte nicht in die Zeitung gehört“, findet auch Fiedler.

Was er eine „Panne“ in der „Hektik des Tageszeitungsgeschäfts“ nennt, war allerdings dreispaltig ganz oben in der Mitte der Seite platziert, über einem Farbfoto aus einem NPD-Aufmarsch, als Überschrift ein Textzitat: „Wann dürfen wir, zumindest im eigenen Land, wieder aufrecht gehen?“ Und der Autor Harald Eisenbart aus dem saarländischen Weiskirchen griff nicht nur mit dem einen Satz daneben. Sein Brief fiel zwischen den anderen Zuschriften zum Thema Fremdenfeindlichkeit und Gewalt von rechts gleich mit dem ersten Satz auf: „Unter Hitler waren es die Juden, wenn nicht gleich ein Täter parat war, heute sind es die ‚Rechten‘.“

Dann folgte noch eine Breitseite gegen Michel Friedman vom Zentralrat der Juden: „Wir Deutschen müssen uns und unsere Vorfahren von Friedman und unseren Politikern beschimpfen lassen.“

Diese Attacke hat im Saarland eine besondere Spitze: Friedman ist erst kürzlich unter Protest gegen die Spendenaffäre aus der hessischen CDU aus- und in die saarländische CDU eingetreten. Außerdem berät er den Ministerpräsidenten Müller in Europa- und kulturpolitischen Fragen. Dass die Saarbrücker Zeitung so einen Brief druckt, könne er nicht nachvollziehen, sagt Friedman auf Anfrage. „Jeder Redakteur erkennt sofort, dass es sich um ein Hetzschreiben handelt, das unter Umständen Straftatbestände enthält.“ Briefeschreiber Eisenbart erklärt zwar, die Staatsanwaltschaft im Nacken, mit „rechten Idioten“ und „diesen Gewalttätern“ wolle er „nichts zu tun haben“. Allerdings gehört er zu den regelmäßigen bekannten Rechtsauslegern auf der Leserbriefseite.

Erst am 15. Juni war dort von ihm zum Thema Zwangsarbeiterentschädigung zu lesen: „Wer schützt uns, das Volk, vor weiteren Erpressungsfeldzügen der ‚Holocaust-Connection‘?“ Chefredakteur Fiedler will nicht, dass Missverständnisse über die politische Richtung seiner Zeitung aufkommen. Sie habe sich wiederholt dafür eingesetzt, dass saarländische Unternehmen dem Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds beitreten. Die abgedruckten Leserbriefe passen dazu leider gar nicht, findet die „Antifa Saar“: „Dies sind keine Einzelfälle oder, wie von der Saarbrücker Zeitung bei Kritik behauptet, ein ‚Versehen‘, sondern die Regel.“ Das Fiedler-Blatt habe „mit den Leserbriefseiten in den vergangenen Jahren einen heftigen ‚Ruck nach rechts‘ vollzogen“.

Seiten für den Bodensatz

Zuletzt hatte die Leserbriefpolitik der Zeitung Anfang vergangenen Jahres für Aufregung gesorgt: als die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945“ in der Landeshauptstadt Station machte. Damals, so die Antifa „zeigte die Saarbrücker Zeitung, wie weit sie bereit ist, faschistischen und revisionistischen Parolen einen Raum zu geben“. In der Nacht zum 9. März verübten Unbekannte einen Bombenanschlag auf die Ausstellung. Sachschaden: eine halbe Million Mark. Von den Tätern fehlt bis heute jede Spur. Das Blatt hatte der umstrittenen Wehrmachtsausstellung Kommentare und Hintergrundberichte gewidmet – und Volkes Stimme reichlich Raum geboten. Viele Leser hatten für die Schau geworben, mehr noch hatten sie als Entehrung der Soldaten beschimpft. 230 abgedruckte Leserzuschriften aus dieser Zeit hat die „Aktion 3. Welt Saar“ gesammelt und kritisch geprüft. Ergebnis: Die Redaktion habe ihre „Seiten geöffnet für fast jeden nationalistischen und antisemitischen Bodensatz“.

Harald Eisenbart, auf den jetzt die Staatsanwaltschaft aufmerksam wurde, habe gleich mehrfach polemisiert. Für Roland Röder von der „Aktion 3. Welt“ ist klar: Den Bombenanschlag „kann man nicht isoliert betrachten von dem, was vorher auf der Leserbriefseite stattgefunden hat“. Wenn die Staatsanwaltschaft jetzt wegen eines Briefes ermittle, findet er, dann hätte sie es vor einem Jahr „mit Sicherheit schon wegen anderer tun können“.