130 Mann in Seenot

Das russische Atom-U-Boot „Kursk“ ist gesunken. Der Besatzung droht Ersticken. Marinesprecher: „Keine Atomwaffen an Bord.“ Helfer vor Ort

MOSKAU/BERLIN dpa/ap/taz ■ Vor der russischen Halbinsel Kola ist ein russisches Atom-U-Boot auf Grund gelaufen. Die Chancen auf Rettung der bis zu 130 Mann Besatzung aus hundert Meter Tiefe stehen schlecht. Der oberste russische Flottenchef, Wladimir Kurojedow, wurde gestern mit den Worten zitiert: „Trotz aller Anstrengungen sind die Chancen auf einen glücklichen Ausgang in dieser Lage nicht sehr hoch.“ Beobachter werten dies als sehr ernstes Zeichen.

Das Schiff weise Spuren einer „ernsthaften Kollision“ auf, so der Flottenchef. Er könne noch nicht sagen, womit es zusammengestoßen ist. Er korrigierte damit eine Fernsehmeldung, wonach bei einer Schießübung Wasser in die Torpedoschächte gelaufen sein soll, weshalb das Boot nicht auftauchen könne.

Marinesprecher Igor Digalo betonte gestern, die „Kursk“ habe Marschflugkörper und Torpedos an Bord, jedoch keine Atomwaffen. Von dieser Seite bestehe keine unmittelbare Gefahr. Berichte über einen möglichen Austritt von Radioaktivität lagen nicht vor.

Dennoch hat die Regierung im angrenzenden Norwegen gestern einen Krisenstab gebildet, um auf mögliche Folgen des Unglücks vorbereitet zu sein. Norwegische Stellen veranlassten im Havariegebiet zusätzliche Messungen der Radioaktivität. Man rechnete aber nicht mit positiven Ergebnissen.

Russische U-Boote, Marineschiffe und Rettungshubschrauber trafen gestern am Unglücksort 180 Kilometer nordöstlich des russischen Hafens Murmansk ein. Da die Antriebsreaktoren abgeschaltet sind, gibt es keinen Strom an Bord, es kann zu Sauerstoffknappheit kommen.

Ein erneutes Anschalten der Reaktoren in hundert Meter Tiefe sei wegen Brandgefahr äußerst riskant, so ein Sprecher der norwegischen Umweltorganisation Bellona. Die russische Flotte verfüge über Mini-U-Boote, mit denen die Bergung technisch kein Problem sei, es müsse aber schnell gehen. Nachdem auch der U-Boot-Experte der russischen Militärzeitung Krasnaja Swesda gestern von einer „Äußerst negativen Situation“ sprach, rückte diese Lösung wieder in weite Ferne.

Die „Kursk“ wurde 1994 gebaut und ein Jahr später in Betrieb genommen. Die russische Flotte verfügt über sieben gleichartige U-Boote im Nordmeer und vier im Pazifischen Ozean. Sie sind 155 Meter lang und wiegen 18.000 Tonnen. Sie können bis zu 120 Tage ununterbrochen tauchen, wozu aber die Atomreaktoren eingeschaltet sein müssen.

Das letzte schwere Unglück mit einem Atom-U-Boot ereignete sich 1989. Damals kamen beim Untergang der „Komsomolez“ 69 Menschen ums Leben. Ursache des Untergangs war ein Feuer. AM