Komisch leiden

Mit bescheidensten Mitteln fit für die Postmoderne: Constantine Giannaris’ Film „3 Steps To Heaven“ im fsk

Katrin Cartlidge gehört zu den paar Schauspielerinnen auf der Welt, die nicht unbedingt geliebt werden wollen. Aber wer sich so seine Rollen aussucht, wird früher oder später Galionsfigur des neueren britischen Films. Nichts zu machen. Ihre Gesichtszüge könnte man denn auch als verhärmt beschreiben. Schöner wäre vielleicht: eine Geburt aus Schock und Trauer. In „Vor dem Regen“ musste sie alle Kräfte zusammennehmen, um als Kriegsfotografin die Bilder aus Bosnien zu sortieren. Starke Gefühle, großes Kino. In Mike Leighs „Naked“ dröhnte sie sich vorsichtshalber zu, um die Vergewaltigungen zu ertragen. Mit erstaunlicher Sanftmut brillierte sie dagegen in Lars von Triers „Breaking the Waves“. Die Via Dolorosa ging ausnahmsweise eine andere.

Bevor sie nun in „3 Steps To Heaven“ erstmals komisch werden darf, muss sie wieder kräftig leiden. Auf mysteriöse Weise wurde ihr Freund Opfer des Londoner Nachtlebens. Aber Juliette will nichts mehr einfach geschehen lassen. Die Stadtneurotikerin wird zur Detektivin. In drei Rollen muss sie schlüpfen, sich verkleiden und verstellen, um sich denen zu nähern, mit denen Sean seine letzte Nacht verbracht hat. Warum das komisch ist? Weil sich eine wie Katrin Cartlidge nicht verstellen kann. Weil sich ihre Verzweiflung und Obsession nicht hinter einer dicken Sonnenbrille verstecken lassen. Weil ein Gefühlsmensch wie sie in solchen Fällen die Mundwinkel zusammenpresst und alles falsch macht. Wer das nicht sieht, ist blind. Oder Labour-Abgeordneter.

Die Gesellschaft, in die sich Juliette begibt, lebt vom schönen Schein. Ein Fake mehr fällt da nicht auf. Der fesche Parlamentarier mit dem Sex-Skandal genießt es sogar, sich von Juliette in seinem Sado-Maso-Keller fesseln zu lassen. Denn der Beau, der aussieht wie Jarvis Cocker als Politiker, hält sie für eine wohlgesinnte Journalistin. Die abgehalfterte Talkmasterin entdeckt in ihr den letzten Fan. Und der verkokste Jungaktionär verspricht sich natürlich ganz anderes, muss diese Welt aber vorzeitig über den Balkon verlassen.

Juliette forscht und foltert mit beschränkten Mitteln und wird ungewollt zum Todesengel. In diesem Pandämonium der polymorphen Perversionen eine relativ neutrale Rolle, mit der sich jeder identifizieren kann. Für ihre neue Knarre studiert sie erst mal intensiv die Gebrauchsanleitung.

Katrin Cartlidge, mit vollem Ernst auf der Suche nach Wahrheit, wird Zeugin dreier Auflösungsprozesse. Und findet durch sie zu eigener Identität. Dabei hält nur sie die Fäden einer sozialen Satire zusammen, die der Regisseur Constantine Giannaris mit bescheidensten Mitteln fit gemacht hat für die Postmoderne. Ja, fünf Jahre nach Entstehen des Films darf man dieses Wort wieder benutzen!

Verrätselte Vergangenheit und Power-Close-ups auf die zitternden Lippen eines Koksers erinnern an David Lynchs „Wild at Heart“; Zeitrafferfahrten durch den Londoner Verkehr erstellen eine Psychografie der Nacht, irgendwo zwischen Mind-Mapping und Mister X.

Ihre drei Opfer erhalten ihre besten Auftritte in Fernsehen und Presse. Und dann darf Cartlidge auch noch die zart gestelzte Sexszene aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ nachspielen. Zitat, Virtualität, Camouflage und Beschleunigung – was will man mehr? In Großbritannien macht man so was übrigens fürs Fernsehen. PHILIPP BÜHLER

„3 Steps to Heaven“: Regie: Constantine Giannaris, Darsteller: Katrin Cartlidge, Frances Barber, James Fleet, Con O’Neil, GB 1995, 90 Min. Läuft im fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg